Umstrittene Hinrichtung in den USA:Keine Gnade - trotz aller Zweifel

Es half alles nichts: Unterschriftensammlungen, Mahnwachen, sogar der Papst hat sich für ihn eingesetzt. An diesem Mittwoch wird der Amerikaner Troy Davis hingerichtet. Selten waren die Zweifel an einem Todesurteil und am US-Justizsystem so groß. Die Frage wird bleiben: Ging es auch um Davis' Hautfarbe?

Reymer Klüver, Washington

An diesem Mittwoch wird Troy Davis sterben, auf eine Bahre geschnallt, mit einer Giftinjektion in eine Armvene eingeschläfert wie ein Hund. Vier Mal innerhalb der vergangenen vier Jahre war seine Exekution bereits geplant und wurde immer wieder verschoben. Doch diesmal kann ihn nach menschlichem Ermessen nichts mehr retten.

Gegen sechs Uhr abends Ortszeit (Mitternacht deutscher Zeit) jedenfalls ist die Exekution im Hinrichtungszimmer des US-Bundesstaates Georgia im Gefängnis von Jackson angesetzt, einem Städtchen im Süden von Atlanta.

Am Montag war Georgias Gnadenausschuss zusammengetreten, um über Leben und Tod des 42-jährigen Mannes zu entscheiden, der mehr als die Hälfte seiner Jahre hinter Gitter verbracht hat und dessen Fall Schlagzeilen gemacht hat wie lange kein Todesstrafen-Verfahren mehr in den USA. Denn eines steht fest, ganz jenseits der Frage, ob Exekutionen Teil des Strafkodex eines zivilisierten Landes sein sollten: Es gibt erhebliche Zweifel an Davis' Schuld - auch nach der Entscheidung der vier Männer und einer Frau des Gnadenausschusses am Dienstag, gegen die keine Einspruchsmöglichkeit mehr besteht.

Davis' Fall hat die Diskussion über die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten wieder entbrennen lassen. In den vergangenen Jahren hatte sie ein wenig an Intensität eingebüßt - man könnte sagen, fast in dem Maße, in dem die Zahl der Exekutionen in den USA ohnehin zurückgegangen ist. 3250 verurteilte Mörder sitzen in Amerikas Todeszellen, seit Jahren aber werden immer weniger Menschen zu Tode gebracht. Im vergangenen Jahr waren es noch 46, in den neunziger Jahren wurden fast doppelt so viele hingerichtet. Fast zwei Drittel aller Amerikaner sind nach wie vor für die Todesstrafe. In den neunziger Jahren waren es 80 Prozent.

In Troy Davis' Fall kommt einiges zusammen, was die Diskussion zusätzlich anfacht: außer den Bedenken gegen die Todesstrafe überhaupt bestehen erhebliche Zweifel, ob Georgias Gerichte dem Mann wirklich Gerechtigkeit haben widerfahren lassen. Und hinter allem taucht, nicht ausgesprochen, auch die Frage auf, ob die Hautfarbe von Täter und Opfer eine Rolle gespielt haben könnte. Davis ist schwarz, das Mordopfer, ein Polizist, ist weiß.

Tatsächlich sind 35 Prozent aller Hingerichteten in den USA einer Statistik des Death Penalty Information Center in Washington zufolge schwarzer Hautfarbe. Afro-Amerikaner haben einen Bevölkerungsanteil von rund 13 Prozent. Die Hautfarbe der Opfer spielt offenkundig auch eine Rolle bei der Entscheidung, ob ein Täter am Ende wirklich hingerichtet wird: 75 Prozent aller Mordopfer in den Fällen, in denen die Täter am Ende sterben mussten, waren Weiße. Generell ist nur die Hälfte aller Mordopfer in den USA weißer Hautfarbe.

"Ein Fall wie dieser", so sagt der Vorsitzende der traditionsreichen Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), Benjamin Jealous, "legt die Vermutung nahe, dass unser Justizsystem Mängel hat." Das alles zusammen hat eine Welle der öffentlichen Anteilnahme entfacht.

Fast 700.000 Unterschriften waren in den vergangenen Tagen beim Gnadenausschuss von Georgia eingegangen, mit der Bitte um Gnade für Davis. 250.000 davon im Internet gesammelt von der Organisation change.org im Namen seiner Schwester Martina Coreia, einer früheren US-Soldatin. Ex- Präsident Jimmy Carter (der in Georgia lebt) und der Papst setzten sich für ihn ein.

Der Fall hat Justizgeschichte geschrieben

Auf dem Times Square in New York gab es Mahnwachen. In der vergangenen Woche zogen Hunderte zur Ebenezer Baptist Church in Atlanta, der Kirche, an der einst der Bürgerrechtler Martin Luther King gepredigt hatte. Und als der Ausschuss am Montag in Atlanta, der Hauptstadt von Georgia, zusammentrat, begleitete sie dumpfes Trommeln einer Gruppe von Demonstranten vor dem Gebäude, die ein gewaltiges Plakat entfaltet hatten mit der Aufschrift "Save Troy Davis - Rettet Troy Davis".

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Solidaritätsbekundungen mit Troy Davis gab es weltweit - hier eine Demonstration in Paris.

(Foto: AFP)

Davis selbst hat immer seine Unschuld beteuert. Er leugnet, im August 1989 am Mord des jungen Polizisten Mark MacPhail in Savannah beteiligt gewesen zu sein. Der damals erst 22 Jahre alte MacPhail war einem Obdachlosen auf einem Parkplatz eines Burger-King-Restaurants zu Hilfe geeilt, wo er sich sein schmales Polizistengehalt als Wachmann aufbesserte.

Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft schlug Davis zusammen mit einem anderen Mann auf den Obdachlosen ein, weil sie Geld für ein Bier haben wollten. Als MacPhail die Männer trennen wollte, habe Davis ihn kaltblütig erschossen. Davis wurde 1991 aufgrund der Aussage von immerhin neun Zeugen zum Tod verurteilt.

Seither aber haben jedoch sieben der neun Zeugen ihre Aussagen widerrufen, mindestens einer mit der Behauptung, dass er von der Polizei zu der Aussage genötigt worden sei. Es gibt inzwischen Hinweise, dass der Hauptbelastungszeuge der Anklage selbst der Täter sein könnte. Eine der Geschworenen, die Davis damals zum Tode verurteilten, hat sich der Kampagne für seine Begnadigung angeschlossen mit der Erklärung, dass sie ihn damals nie verurteilt hätte, wenn sie all die Fakten gekannt hätte, die inzwischen aufgetaucht seien.

Davis' Fall schrieb Justizgeschichte in den USA. Er war der erste Todeskandidat in 50 Jahren, dem auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs eine neue Anhörung vor einem anderen Bundesrichter gewährt werden musste, in der er seine Unschuld unter Beweis stellen sollte.Der Richter kam allerdings nach der Anhörung zu dem Schluss, dass Davis' Einlassungen "nichts als Schall und Rauch" seien - und bestätigte das Todesurteil in einer 178 Seiten langen Begründung.

Im amerikanischen Rechtssystem muss ein Häftling "klare und überzeugende Beweise für seine Unschuld vorlegen", um das ursprüngliche Urteil revidieren zu können, wie Russell Covey, ein Rechtsprofessor an der Georgia State University in Atlanta, sagt: "Das ist etwas anderes, als nur erhebliche Zweifel an seiner Schuld geltend machen zu müssen."

2007 hatte auch der Gnadenausschuss von Georgia Davis einen Aufschub gewährt, um die Angelegenheit zu prüfen, ihn dann aber ein Jahr später abschlägig beschieden. Nachdem Davis alle Berufungsmöglichkeiten ausgeschöpft hatte, hörte dann der inzwischen teilweise neu besetzte Gnadenausschuss noch einmal die Argumente seiner Anwälte - und die der Angehörigen. Sie hatten keinen Zweifel an Davis Schuld und wollten ihn sterben sehen.

"Mir wurde eine Zukunft genommen", sagte Madison MacPhail vor dem Gnadenausschuss, die Tochter des Mordopfers, die zum Zeitpunkt der Tat ein Kleinkind war, "eine Zukunft, die wir als Familie gehabt hätten. Ich glaube, die Todesstrafe ist die angemessene Form der Gerechtigkeit."

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