Extremer geht immer – zum Beispiel beim Ultratriathlon. Die Schweizerin Eva Hürlimann schwimmt, radelt und läuft – allerdings fünffache Distanzen von normalen Triathlons. Für 19 Kilometer Schwimmen, 900 Kilometer Radfahren und 211 Kilometer Laufen braucht sie nur 81 Stunden. Dabei trainiert die 41 Jahre alte Sportlerin gar nicht so viel, sagt sie. Im Wettkampf aufgeben, ist für sie noch nie eine Option gewesen: Bei der Weltmeisterschaft der Ultratriathleten im französischen Colmar hat sie trotz eines Sonnenstichs und Nackenstarre als Zweite das Ziel erreicht.
SZ: Frau Hürlimann, beim Joggen erreicht man irgendwann das sogenannte Runner’s High, ein durchs Laufen erzeugtes Glücksgefühl. Gibt es beim Ultratriathlon ein Ultra-High?
Das High kommt, wenn die Krisen überwunden sind. Ultratriathlon ist permanentes Krisenmanagement mit sehr vielen Tief- und Höhepunkte. Je tiefer die Krise, desto größer das Glücksgefühl.
Gerade haben Sie einen fünffachen Triathlon hinter sich. Welche Krisen mussten sie dabei managen?
Normalerweise ist das Wasser kühl, deswegen trug ich einen dicken Neoprenanzug an. Blöderweise stieg wegen einer Hitzewelle in Colmar die Wassertemperatur auf 30 Grad. Ich überhitzte und bekam Kopfschmerzen. Nach jeder 50-Meter-Bahn musste ich am Beckenrand anhalten und Wasser in den Neopren lassen.
Bei 19 Kilometer also 380 Mal?
So ungefähr. Nach sechseinhalb Stunden hatte ich die 19 Kilometer geschafft und duschte mich kalt ab. Ich hatte aber trotzdem einen Sonnenstich und bekam beim Radfahren auch noch Durchfall. Auf den ersten 400 Kilometer band ich mir ein Tuch mit Eiswürfeln an den Nacken und kühlte endlich ab. Das war aber ein Fehler, denn so entwickelte ich ein Shermer’s-Neck-Syndrom.
Eine Nackenstarre, bei der die Nerven blockiert sind. Da lagen dann noch 500 Kilometer auf dem Rad vor Ihnen.
Ich konnte den Kopf nicht mehr halten, der kippte immer wieder nach vorn. Ich fuhr dann bis Kilometer 600 nur mit einer Hand am Lenker, mit der anderen hielt ich meinen Kopf. In einer kleinen Pause ließ ich mich massieren, das hat aber nichts gebracht. Also haben wir eine Konstruktion aus einer Chipsdose und einem Polster gebastelt, auf der ich mein Kinn abstützte. Ich konnte dann mit beiden Händen weiterfahren, aber habe viel Zeit verloren.
Gab es einen Moment, in dem Sie aufgeben wollten?
Nein, nie. Ich fühlte mich gut und wusste, mein Ziel ist erreichbar. Es kommt auf die mentale Stärke an. Bei mir ist das ein automatischer Prozess, ich bin ein sehr positiver Mensch. Man sollte keine Energie in Sachen verschwenden, die man nicht ändern kann. Das rechte Knie schmerzt vielleicht, aber das linke funktioniert ja noch.
Wenn sie keinen inneren Schweinehund überwinden müssen, schieben sie zumindest irgendetwas mal auf?
Gerade liegen hier noch ein paar Säcke mit Nahrungsergänzungsmittel herum, die ich ausräumen sollte. Das schiebe ich schon gerne vor mir her, und nach einem Rennen lege ich mich lieber ins Bett.
Wie geht es Ihrem Körper jetzt?
Ich regeneriere ziemlich schnell. Bei mir fallen eigentlich nur die Zehennägel ab, da kann ich noch so gute Schuhe anziehen. Dieses Mal sind es nur drei Stück. Ansonsten fühle ich mich gut, ich habe echt super Gene. Einen Monat setze ich jetzt mit dem Sport aus. Ich gönne meinem Körper die Erholung.
Sie sind alleinerziehende Mutter. Sind Sie deshalb besonders krisenresistent?
Ja, das trifft schon zu. Meine Kinder sind der perfekte Ausgleich zum Sport und Job. Ich trainiere meistens, wenn die Kinder in der Schule sind, habe aber keinen festen Trainingsplan. Ich trainiere im Vergleich zu anderen eher wenig. In der Woche nur etwa acht bis 15 Stunden. Ich gehe zum Beispiel nie schwimmen, denn ich kann die Technik und schwimme gut genug.
Waren Sie schon immer so sportlich?
In meiner Jugend war ich acht Jahre lang Eiskunstläuferin, ich kam bis zu den Doppelsprüngen, dann habe ich gemerkt: Ich bin doch keine Prinzessin. Ich wechselte in den Schwimmklub und mit 18 Jahren bin ich beim Triathlon-Klub in Bern eingestiegen. Da kam ich sofort auf die Podeste. Die Distanzen wurden immer länger, bis zur Ironman-Distanz. Als ich schwanger wurde, habe ich fünf Jahre lang gar keinen Sport gemacht.
Wie wurden Sie dann Ultratriathletin?
Ein paar Monate nachdem ich mein drittes Kind abgestillt hatte, habe ich beim „Gigathlon“ teilgenommen. Zwei Tage und zwölf Stunden war ich unterwegs, hatte wahnsinnig viel Spaß und den Wettkampf sogar gewonnen. Am Montag danach bemerkte ich, dass ich gar keinen Muskelkater hatte. Da war mir klar: Mein Körper ist perfekt für lange Sportwettkämpfe.
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