Süddeutsche Zeitung

Ulm:Krankenschwester soll Frühchen Morphium verabreicht haben

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Eine Krankenschwester in Ulm wird verdächtigt, Frühgeborenen ohne jede medizinische Notwendigkeit Morphium verabreicht zu haben. Gegen die Frau wurde Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags in fünf Fällen beantragt. Die Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe.

Die Mitarbeiterin soll kurz vor Weihnachten in einer Nachtschicht fünf Frühgeborenen im Alter zwischen einem Tag und einem Monat Morphium verabreicht haben. Sie habe bei ihrer Vernehmung umfassende Angaben gemacht, bestreite jedoch die Vorwürfe, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft, Christof Lehr. Es handle sich um eine junge Frau. Weitere Angaben zu ihr wolle man wegen der laufenden Ermittlungen nicht machen.

Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch eine Strafanzeige des Universitätsklinikums Ulm. Den Angaben zufolge litten in den Morgenstunden des 20. Dezember 2019 in der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin fünf Frühgeborene nahezu gleichzeitig an lebensbedrohlichen Atemproblemen.

Untersuchungen ergaben, dass den Säuglingen ein Betäubungsmittel verabreicht worden war, wie die Klinik erläuterte. Dank eines raschen Eingreifens des Krankenhauspersonals sei dies aber nach ärztlicher Einschätzung für die Kinder weitgehend folgenlos geblieben.

Spritze mit Muttermilch und Morphin

Ermittler durchsuchten am Dienstag Räumlichkeiten von Personen, die im fraglichen Zeitraum Dienst auf der Frühgeborenen-Station hatten. Dabei fanden sie im Spind der nun tatverdächtigen Schwester eine Spritze mit Muttermilch, die Morphin enthielt. Kann es sein, dass ihr jemand die Spritze untergeschoben hat? Niemand schließe das bislang aus. "Wir ermitteln in alle Richtungen", sagte Bernhard Weber, Chef einer 35-köpfigen Ermittlungsgruppe beim Ulmer Polizeipräsidium.

Morphin kommt als eines der stärksten Schmerzmittel in der Medizin zum Einsatz. Die Medikamente wirken am zentralen Nervensystem und verhindern, dass Schmerzen im Körper weitergeleitet werden. Nebenwirkungen sind Bewusstseinsstörungen und eine sehr hohe Suchtgefahr. Die Abgabe der Medikamente ist daher streng reguliert. Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen kann es bei Morphin sehr leicht zu gefährlichen Überdosierungen kommen. Demnach führt eine akute Morphinvergiftung zur Lähmung des Nervensystems, besonders des Atemzentrums. Eine Atemlähmung kann tödlich enden.

Auch nach einer Pressekonferenz des Klinikums am Donnerstagnachmittag bleiben Fragen offen. Wie konnte es etwa geschehen, dass eine Pflegekraft unbemerkt Morphium aus dem Giftschrank der Station entnehmen konnte? Dass die Verdächtige Zugang hatte, war wohl normal. "Sie gehörte ja zum Team", sagte Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Aber der gesetzlich vorgeschriebene Nachweis für die Entnahme fehlte. Ein Vier-Augen-Prinzip bei der Entnahme von Opiaten gab und gibt es im Ulmer Klinikum nicht. "Wir müssen davon ausgehen, dass an unserer Klinik mit krimineller Energie ein Verbrechen verübt wurde", sagte Debatin.

Zu möglichen Motiven der Krankenschwester gibt es bisher keine Erkenntnisse. Die Ermittlungen stünden noch weitgehend am Anfang, hieß es vom Polizeipräsidium Ulm. Die Klinik bat um Entschuldigung: "Wir bedauern es sehr, dass es zu einem solchen Zwischenfall gekommen ist, und entschuldigen uns ausdrücklich bei den Eltern und Kindern dafür", erklärte der Leitende Ärztliche Direktor Udo Kaisers.

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