Süddeutsche Zeitung

Uhrzeit:Nie mehr umstellen?

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker wirbt für ein Ende der Zeitumstellung. Sind ihre Tage damit wirklich gezählt? Und welche Zeit werden wir dann haben? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema.

Von Max Sprick und Thomas Kirchner

Es bleiben Fragen offen in Brüssel, eines aber lässt sich klar sagen: Nachdem sich mehr als 80 Prozent der Teilnehmer in einer europaweiten Umfrage gegen die Zeitumstellung ausgesprochen haben, wird die EU-Kommission demnächst vorschlagen, diese in allen Mitgliedstaaten abzuschaffen. Mit dieser Aussage preschte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Freitagmorgen im ZDF vor, obwohl für den Mittag nur eine Stellungnahme seiner Behörde zum Ergebnis der Befragung angekündigt gewesen war. Ist jetzt bald Schluss mit dem Mini-Jetlag zweimal im Jahr? Und gilt dann in allen Ländern dieselbe Zeit? Hier die Antworten auf die drängendsten Fragen.

Was sagte Juncker?

"Ich werde zuerst in der Kommission dafür werben, dass man, wenn man die Bürger fragt, auch das tun muss, was die Bürger zum Ausdruck bringen. Das werden wir heute beschließen." Später wurde präzisiert, die Behörde habe die "politische Entscheidung" getroffen, die Zeitumstellung abzuschaffen.

Was geschieht nun?

Die Kommission wird vorschlagen, die Richtlinie 2000/84/EG aus dem Jahr 2001 zu ändern. Sie legt die Zeitumstellung bisher fest. Dann läuft der reguläre Gesetzgebungsprozess: Das Parlament muss zustimmen (was wahrscheinlich ist, schließlich hatten die Abgeordneten die Kommission ja im Frühjahr in einer Entschließung zum Handeln aufgefordert), und auch der EU-Ministerrat, also das Gremium der Mitgliedstaaten, muss sein Einverständnis geben. Der gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, Peter Liese (CDU), sagte: "Ich bin begeistert. Die EU-Kommission reagiert auf das eindeutige Votum der Online-Befragung. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Gesetzgebung noch vor der Europawahl im Mai 2019 durchbringen."

Haben dann alle EU-Länder dieselbe Zeit?

Nein, schon jetzt gibt es drei verschiedene Zeitzonen in der EU, die Portugiesen sind zwei Stunden hinter den Bulgaren. Durch EU-Recht ist lediglich geregelt, dass die Mitgliedstaaten die Uhr im Oktober um eine Stunde zurück und im März um eine Stunde vorstellen. Würde die EU diese Regelung abschaffen, entfiele die Zeitumstellung, und zwar in der gesamten Union. Würden einige Länder die Uhren weiterhin umstellen und andere nicht, würde dies den europäischen Binnenmarkt beeinträchtigen. Welcher Zeitzone sich die einzelnen Staaten anschließen, dürfen sie, wie schon jetzt, weiterhin selbst entscheiden. Deshalb kann es theoretisch passieren, dass Deutschland künftig zu einer anderen Zeitzone gehört als Österreich.

Empfiehlt die Kommission die Sommer- oder die Winterzeit?

Das ist nicht klar. Juncker sprach sich im ZDF für die permanente Sommerzeit aus, ein Sprecher relativierte aber, man müsse abwarten, wie der Gesetzesvorschlag, der recht bald kommen solle, konkret aussehen werde.

In der Umfrage war die Mehrheit für eine dauerhafte Sommerzeit.

Wie ist die Umfrage ausgefallen?

4,6 Millionen der mehr als 500 Millionen Europäer haben sich beteiligt. 84 Prozent votierten für ein Ende des Hin und Her. Etwas mehr als drei Millionen nahmen aus Deutschland teil. Das entspricht einer Partizipationsrate von 3,79 Prozent. Ähnlich aktiv waren nur die Österreicher mit 2,94 Prozent. Danach kommen Luxemburg (1,78) und Finnland (0,96). Nur 0,59 Prozent der Franzosen stimmten ab, und lediglich 0,02 Prozent der Briten, also etwas mehr als 13 000 Bürger. Wer möchte, kann aus diesen Zahlen herauslesen, wie himmelweit die deutsche und die britische Mentalität auseinander liegen.

Ist das Ergebnis repräsentativ?

Nein. Vermutlich hätten vor allem jene mitgemacht, "die sich ärgern, wenn die Uhr umgestellt wird", sagte Walter Krämer, Statistik-Professor an der TU Dortmund. Er hätte der Kommission geraten, "etwas Geld in die Hand zu nehmen und ein renommiertes Umfrageinstitut mit einer repräsentativen Befragung zu beauftragen". Die Kommission verteidigte sich mit dem Argument, die Befragung sei nur eines von mehreren Faktoren, die sie berücksichtigt habe. Andere Elemente seien Studien, die Resolution des Europäischen Parlaments im Frühjahr und "die breite öffentliche Diskussion" über das Thema, sagte ein Sprecher. Aus einigen Mitgliedstaaten gab es Kritik, dass die bisherige Regelung hauptsächlich aufgrund deutscher Stimmen geändert werde. Ein Kommissionssprecher entgegnete: "Hätten wir das Ergebnis der Befragung also ignorieren sollen?"

Gab es eine solche Umfrage schon mal?

Nicht auf EU-Ebene, aber in einigen Mitgliedstaaten. In Polen beispielsweise gab es schon einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Zeitumstellung, der von allen Parteien unterstützt wurde. Doch aus dem Gesetz wurde nichts, weil eine Abschaffung ausschließlich in Polen eben der EU-Richtlinie widersprochen hätte. In Deutschland votierten im Frühjahr bei einer Forsa-Umfrage 73 Prozent für ein Ende der Zeitumstellung. In Finnland forderten im vergangenen Jahr 70 000 Menschen in einer Petition das Ende der Sommerzeit. Dadurch wurde Finnland zum Urheber der EU-Beschlüsse, die zu der nun revolutionären Umfrage geführt haben.

Was sagt die Bundesregierung?

Offiziell will sie erst den konkreten Vorschlag aus Brüssel abwarten. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Freitag aber, sie habe eine "sehr hohe Priorität" für ein Ende der Zeitumstellung.

Welche Reformen gab es bislang?

Schon Ende des 18. Jahrhunderts erklärte Benjamin Franklin in den USA, dass ausgedehntes Nachtleben durch künstliches Licht Energie vergeude. Früheres Aufstehen und Zubettgehen würde dagegen helfen. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. folgte Franklins Argumentation 1916 aus anderen Gründen, als er die weltweit erste Zeitumstellung anordnete - Beleuchtungsmittel wie Kerzen sowie Gas zu sparen war sein Ziel, als er während des Ersten Weltkriegs die Sommerzeit einführte. Die Kriegsgegner reagierten, indem sie es nachmachten. Großbritannien hielt dann als einziges Land zwischen den Weltkriegen an der Verschiebung der Stunden im Sommer fest. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Sommerzeit wieder eingeführt, danach größtenteils wieder abgeschafft. Bis 1996 vereinheitlichte die EU die unterschiedlichen Sommerzeitregelungen ihrer Mitgliedstaaten.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2018
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