Noch ist das komplette Ausmaß der Hochwasserschäden in Peru nicht absehbar, aber mithilfe der unzähligen Wackelvideos, die jetzt im Netz kursieren, lässt es sich immerhin erahnen. Wenn etwas noch funktioniert in dem südamerikanischen Land, das sich seit Tagen verzweifelt gegen die Fluten wehrt, dann ist es die Handyfilmchen-Produktion.
Zur Auswahl stehen unter anderem: Ein zweistöckiges Haus, rosa und hellblau angemalt, das komplett in den Fluss Rímac stürzt und davonschwimmt; ein Hotel in den Anden, das einfach in sich zusammenfällt, nachdem der Fluss Sicra den Boden weggespült hat, auf dem es einmal stand; drei Männer, die sich in ein komplett überflutetes Gebäude hineinwagen, obwohl sie von kreischenden Frauen angefleht werden, es sein zu lassen - und die schließlich drei Kleinkinder lebend aus dem ersten Stock retten.

Nach monatelangem Dauerregen sorgte das Wetterphänomen Küsten-El-Niño in Peru nun für schwere Überschwemmungen. Die Rettungsarbeiten sind mühsam.

Mit dem Wasser kam auch der Schlamm - eine massive Erdlawine bedeckt Teile des Viertels Huachipa der Hauptstadt Lima.

Provisorische Seilrutschen tragen vom Wasser Eingeschlossene über die Fluten. Sie mussten auf die Dächer ihrer Häuser flüchten.

Viele Menschen stehen nach der Flut vor den Trümmern ihrer Existenz. Über 100 000 verloren ihre Häuser - rund 600 000 sind von der Flut betroffen.

Die Infrastruktur ist zusammengebrochen, Rettungsversuche sind erschwert. Nun wurden wegen "anomaler Wellen" zusätzlich 23 Häfen geschlossen.

Derzeit geht man von 78 Toten und etwa 260 Verletzen aus. Diejenigen, die sich retten konnten, beginnen mit den Aufräumarbeiten.

Gerade in abgelegeneren Gegenden sind Rettungs- und Aufräumarbeiten noch schwierig, da Fahrwege von Geröll, Schlamm und Wasser versperrt sind.

Messungen haben ergeben, dass das Wasser vor der Küste Perus wärmer ist, als sonst zu dieser Jahreszeit. Nun wird gerätselt, ob das am Klimawandel liegt.

Das Wasser verdampfte und ergoss sich über ganz Peru. Dieser "El Niño costero" (Küsten-Niño) ist dafür verantwortlich, dass viele ihre Häuser verlassen mussten.

Nachbarländer wie Kolumbien helfen mit Lebensmittelpaketen, Decken, Zelten und Kleidung. Die Betroffenen stehen Schlange, um die Spenden entgegenzunehmen.

Der Regen soll weiterhin anhalten, die Schulen sind geschlossen. Bürger wappnen sich mit Versorgungspaketen.

Freiwillige helfen dabei, Camps zu errichten. In Peru leben 32 Millionen Menschen auf einer Fläche, die rund dreieinhalb Mal so groß ist wie Deutschland.

Leere Regale: Die Flut hat die Essens- und Wasserversorgung unterbrochen. Große Geröllstücke in den Flüssen stören die Trinkwassergewinnung.
Nationaler Notstand? Nicht nötig. Man habe alles im Griff, sagt der Staatspräsident
Um die Welt ging vor allem das Video von Evangelina Chamorro, 32, aus Punta Hermosa, einem Vorort der Hauptstadt Lima. Eine Schlammlawine riss dort Häuser und Hütten, Felsbrocken und Holzbalken, Menschen und Kühe mit. Und dann hat irgendjemand gefilmt, wie eine komplett mit Matsch überzogene Gestalt der Apokalypse entsteigt. Sie winkt sogar einmal kurz in die Kamera, bevor sie am rettenden Ufer zusammenklappt. Chamorro ist zum Symbol des Überlebenskampfs in Peru geworden. Gesundheitsministerin García besuchte sie öffentlichkeitswirksam am Krankenbett und ließ später wissen: Die Frau sei traumatisiert, habe aber nicht einmal Knochenbrüche davon getragen. Sie sei auf dem Weg der Besserung.
Ob Peru insgesamt schon auf diesem Weg ist, kann noch niemand seriös beantworten. Es steht zu befürchten, dass der jüngste Bericht des Katastrophenzentrums nur eine weitere Zwischenbilanz ist: mindestens 78 Tote und 20 Vermisste, weit über eine halbe Million unmittelbar Betroffene, über 100 000 zerstörte Häuser und 159 weggespülte Brücken. Auch viele Straßen und Leitungen sind kaputt. In großen Teilen Limas musste das Trinkwasser rationiert werden. Verlässliche Zahlen wird es erst dann geben, wenn Hochwasser und Matsch abgeflossen sind. Noch ist aber mit weiteren Regenfällen zu rechnen.
Wissenschaftler führen die dramatische Lage auf ein noch weitgehend rätselhaftes Klimaphänomen namens El Niño costero zurück (etwa: das Christkind der Küste). Es könnte im Zusammenhang stehen mit dem leidlich bekannten Phänomen El Niño, das alle paar Jahre, meist um die Weihnachtszeit, auftritt und eine Kette von Wetteranomalien in großen Teilen der Erde auslöst (siehe Infokasten). El Niño costero betrifft bislang nur die Pazifikküste vor Peru und Ecuador, daher der Name. Rätsel geben den peruanischen Behörden auch sogenannte "anomale Wellen" vor der Küste auf. Wie das Katastrophenzentrum in Lima am Dienstagabend mitteilte, wurden deshalb 23 Pazifikhäfen vorübergehend geschlossen.
Gleichzeitig ist in Peru die Debatte eröffnet, ob wirklich nur das Wetter an dem ganzen Chaos schuld ist oder ob auch die Behörden beim Katastrophenschutz versagt haben. Im Nachbarstaat Ecuador, wo es zuletzt ähnlich stark regnete, sind die Hochwasserschäden nach Lage der Dinge deutlich geringer. Dort hatte die Regierung zuletzt viel Geld in den Bau von Dämmen und Uferbefestigungen investiert. Auch im peruanischen Staatshaushalt sind dafür dreistellige Millionenbeträge vorgesehen, aber ein großer Teil der Summe wurde zuletzt schlichtweg nicht benutzt. Dabei gibt es fast jedes Jahr zur Regenzeit Überschwemmung auf der Westseite der peruanischen Anden, die Hänge sind dort kahl, die Böden trocken und sandig. Sie nehmen kaum Wasser auf. In manchen Jahren sind die Auswirkungen heftiger, in manchen schwächer. Diesmal ist es laut lokalen Medien so schlimm wie seit fünf Jahrzehnten nicht mehr.
Staatspräsident Pedro Pablo Kuczynski verzichtete bislang trotzdem auf die Ausrufung des nationalen Notstandes. Er sagte, seine Regierung habe alles im Griff und werde in Kürze einen großen Plan zum Weideraufbau des Landes vorlegen.
Einstweilen sind aber vor allem die am schwersten betroffenen Gebiete im Norden Perus auf internationale Hilfe angewiesen. Sogar das sozialistische Krisenland Venezuela, das derzeit wahrlich nichts zu verschenken hat, schickte 100 000 Kartons mit Grundnahrungsmitteln.