Süddeutsche Zeitung

Überschwemmungen in Schleswig-Holstein:Lauenburgs Angst vor der Wettervorhersage

Trügt die Stille in Lauenburg? Bisher halten die durchweichten Dämme den Wassermassen stand, unterbrochen wird die Ruhe lediglich vom Kurzbesuch der Kanzlerin. Gefährlich werden könnte der Stadt der angekündigte Niederschlag.

Von Carsten Eberts, Lauenburg

Das Schlimmste ist die Stille. In den engen Gassen, die runter zur Elbe führen. Hinter den Deichen, wenn die Pumpen für einen Moment innehalten. In der Lauenburger Altstadt, die seit Tagen menschenleer ist. Alle hoffen, dass die Stille nicht trügt. Dass die Deiche halten. Und dass nicht alles doch noch viel schlimmer kommt.

"Stabil" ist das wohl am häufigsten ausgesprochene Wort an diesem Mittwoch in Lauenburg. Die Lage scheint gerade unter Kontrolle zu sein. Mit 9,64 Metern wurde gegen Mittag der vorläufig höchste Pegel gemessen. Noch nie stand die Elbe in Lauenburg so hoch, noch nie war sie so breit. Noch nie war so viel Wasser unterwegs. Umgerechnet die halbe Wassermenge des Bodensees wälzt sich durch die vielen Zuflüsse durch die Region. Schon vor Tagen wurde der ganze Landkreis zum Krisengebiet erklärt.

Doch die Deiche halten. Kleine Sickerstellen werden gestopft, das Wasser weggepumpt. Es ist ein Konditionskampf zwischen Wasser und Mensch: Wer hält länger durch? Sogar die Sonne scheint jetzt, die Helfer von THW und Feuerwehr schützen sich mit Händen vor den grellen Strahlen. Es sieht aus, als wäre das Schlimmste schon überstanden.

Große Holzstücke können zu Torpedos werden

"Die Lage ist stabil", sagt auch Wolfgang Genczik, der hier erster Stadtrat ist. Ein stämmiger Mann in weißem Hemd, der mit jedem Wort, das er sagt, eine gewisse Ruhe ausstrahlt. Doch auch er hütet sich davor, auch nur ansatzweise Entwarnung zu geben. "Wir verfallen nicht in Panik", sagt er, "so lange kein Oberflächenwasser dazu kommt." Genczik meint Regen, der die durchweichten Deiche zusätzlich von oben durchnässen würde. Im Nu wäre die Lage wieder prekär.

Erst Passau und Magdeburg, nun also Lauenburg. Während die Menschen in Bayern oder Sachsen-Anhalt von den Massen überrascht wurden, konnten sich die Lauenburger vorbereiten. Überall am Ufer liegen Sandsäcke in Zehnerschichten. Auf der Elbe ist die DLRG pausenlos im Einsatz, fischt Holzstücke aus dem Fluss. Die Elbe schießt mit vier Metern pro Sekunde fast doppelt so schnell wie sonst an Lauenburg vorbei. Große Holzstücke könnten zu Torpedos werden, die Deiche mühelos durchbrechen.

Die Menschen im Ort versuchen ruhig weiter zu leben. Kinder hüpfen in aufgemalten Käsekästchen. Oben im Zentrum, bevor es steil zur Elbe hinunter geht, findet sogar der Wochenmarkt statt. Trotzdem ist die Anspannung spürbar. Am Himmel surrt ein Polizeihubschrauber, er fliegt die Deiche von West nach Ost ab. Dann ist der Hubschrauber weg, und da ist sie wieder: diese Stille.

Um 12.58 Uhr ist es mit der Ruhe aber vorbei. Die Kanzlerin schwirrt ein, mit ihrer ganzen Entourage. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig ist auch dabei, beide wollen sich ein Bild der Lage verschaffen. Am Eingang der Hafenstraße, die in der Nacht zum Sonntag geräumt wurde, dort, wo das Wasser teilweise bis zu den Knien steht, herrscht plötzlich wieder Leben. Merkel schüttelt die Hände der Feuerwehr, eilt rüber zur DLRG, auch hier gibt es viele Hände. Merkel lächelt, demonstriert Entschlossenheit, am Nachmittag geht es weiter nach Hitzacker, wo die Menschen ebenfalls mit der Flut ringen. "Meine absolute Hochachtung vor allen, die hier Tag und Nacht kämpfen", sagt sie. Es soll Soforthilfen für betroffene Regionen wie Lauenburg geben - wie viel, verrät die Kanzlerin nicht. Eine Obergrenze existiere nicht, sagt sie.

Jeder weiß: Nach der vorherigen Flut, im Sommer 2002, hat Gerhard Schröder als Kanzler die anstehende Wahl gewonnen. "Jetzt helfen wir auch noch der Merkel", sagt ein Anwohner, der seinen Namen lieber nicht genannt wissen will. Nicht überall wird der Auftritt der Politikgranden goutiert.

Danach herrscht wieder Ruhe. In der Altstadt direkt an der Elbe wurden 300 Anwohner bereits in der Nacht zum Sonntag evakuiert, die Menschen kamen bei Bekannten oder in Hotels unter, die Notunterküfte blieben leer. Die Erdgeschosse mancher Häuser wurden vorsorglich mit Leitungswasser geflutet. Das verbessert die Statik - und ist immer noch besser als die braune Brühe, die sonst einströmen würde. "Das kleinere der beiden großen Übel", sagt ein Feuerwehrsprecher.

Die Stille ist trügerisch

Das Ausmaß des ganzen Schadens wird erst sichtbar, wenn das Wasser wieder weg ist. Vor Mitte kommender Woche wird das kaum der Fall sein. Die Stadt Lauenburg ist etwa 800 Jahre alt, die Häuser in der Altstadt stehen teilweise seit 400 Jahren. Wie viel historische Bausubstanz das Wasser gerade zerstört, wird erst nach der Flut ersichtlich sein.

Noch ist der Kampf in Lauenburg nicht ausgestanden. Zwar wird der Scheitelpunkt der Elbe bald Richtung Hamburg weiterziehen, jeder Zentimeter, den das Wasser sinkt, bedeutet 16 Tonnen weniger Wasserdruck für die Deiche. Doch es droht ein neues Problem: Schon am Abend könnte es regnen. Dann wird es kompliziert, wenn das Wasser die Deiche nicht nur von unten, sondern auch von oben durchdringt.

Auch deshalb scheint sie trügerisch, diese Stille. Der Wetterdienst hat anderthalb Tage Regen angekündigt.

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