Am dritten Tag nach den schweren Unwettern im Süden und Osten Spaniens mit mehr als 200 Toten und Dutzenden Vermissten sind weiter viele Gemeinden von der Außenwelt abgeschnitten. Spaniens Regierung hatte zwar angekündigt, von Freitag an zusätzliche 500 Soldaten zu den 1 200 Soldaten zu entsenden, die sich bereits an den Rettungsarbeiten beteiligen. Sie sollen die Logistik und die Verteilung von Hilfsgütern sicherstellen. Viele Gemeinden müssen allerdings Hilfe für die Einwohner auf eigene Faust organisieren.
Es fehle an allem, sagte die Bürgermeisterin des besonders stark verwüsteten Ortes Catarroja südlich der Großstadt Valencia, Lorena Silvent, am Morgen im staatlichen Sender RVTE. „Alles ist willkommen - Essen, Trinkwasser, Geräte zur Wiederherstellung der Wasserversorgung, Kleidung.“ Auch die Stromversorgung und die Telekommunikationsnetze seien nicht überall wieder hergestellt.
Silvent plant nun, Versorgungspunkte in dem knapp 30 000 Einwohner zählenden Ort aufzubauen, wo Spenden wie Lebensmittel und Kleidung verteilt werden sollen. Auch wolle sie eine Anlaufstelle für medizinische Versorgung rund um die Uhr einrichten. Wann sie staatlich organisierte Hilfe erwarte, etwa für die Verteilung humanitärer Hilfe oder beim Freiräumen der durch aufgetürmte Autos blockierten Straßen, sagte sie nicht.
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Rio Magro heißt der Fluss, der durch die spanische Provinzstadt führt. Am Mittwochmorgen trat er über die Ufermauern und riss alles mit: Autos, Laternen, Bäume, Menschen. Jetzt herrscht hier Verzweiflung.
Auch in anderen Orten organisieren Bürgermeister mittlerweile Hilfe für die Einwohner. „Wir mussten einen Supermarkt ausräumen, um Lebensmittel an die Bevölkerung zu verteilen“, sagte der Bürgermeister des Orts Alfafar, Juan Ramón Adsuara, dem Fernsehsender À Punt in der Provinz Valencia. Weil geborgene Leichen bisher nicht abgeholt werden konnten, gebe es in der Gemeinde mit 20 000 Einwohnern Menschen, die sich ihre Häuser mit Toten teilten.
Der spanische Minister für Territorialpolitik, Ángel Víctor Torres, kündigte an, wegen der hohen Zahl an Todesopfern zusätzliche Forensiker in das Katastrophengebiet zu holen und notfalls auch Hilfe aus dem Ausland anzufordern. Bei der Wiederherstellung der Infrastruktur und der Räumung blockierter Straßen habe man zwar Fortschritte gemacht. Die Situation sei allerdings weiterhin schwierig, sagte der Minister.
Nach Plünderungen in Geschäften und Häusern werde die Polizei mehr Präsenz zeigen. Medienberichten zufolge wurden in Einkaufzentren, die nach der Katastrophe unbewacht waren, unter anderem elektronische Geräte, Schmuck und Parfüm gestohlen. 39 Verdächtige sind nach Angaben der Nationalpolizei festgenommen worden.
Der Wetterdienst Aemet gab eine Hochwasserwarnung für die gesamte Provinz Castellón aus, die sich ebenfalls in der von heftigen Regenfällen am Dienstag stark getroffenen Mittelmeerregion Valencia befindet. Sie war bisher von dem Wetterphänomen „Kaltlufttropfen“ verschont geblieben, das jetzt gen Nordosten weiterzieht.
„Die Unwetter sind noch nicht vorbei“, warnte auch Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez am Donnerstag bei einem Besuch in Valencia. Allein in Valencia selbst und der gleichnamigen Provinz wurden 202 der bisher bestätigten 205 Toten geborgen. Auch die Regierung der Balearen rief die Bevölkerung vor allem auf den beliebten Urlaubsinseln Mallorca und Menorca zu größter Vorsicht in den kommenden Tagen auf. Dort galt die Warnstufe orange, die zweithöchste.
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Schwer betroffen sind auch andere Regionen am Mittelmeer wie Andalusien und Murcia sowie Kastilien-La Mancha. In der Nacht waren zahlreiche Autobahnen und Landstraßen weiter nicht zu befahren. Auch der Bahnverkehr ist erheblich beeinträchtigt.
Während die Einsatzkräfte ihre Arbeit fortsetzen, gibt es Kritik am Krisenmanagement
Obwohl die Such- und Rettungsarbeiten noch länger anhalten werden, hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen. Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathauschefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der „Dana“ oder des „Kaltlufttropfens“ gefährlich sei. Es tritt zu Herbstbeginn – wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben – im Süden und Osten Spaniens häufiger auf.
Valencias Regionalregierungschef Mazón wies die Kritik zurück. Erste Warnungen seien bereits am Sonntag ausgesprochen worden. Die Verantwortlichen hätten sich strikt an die Protokolle des Zivilschutzes gehalten.
Auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche „brutalen Folgen“ nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert.