Süddeutsche Zeitung

Überlebender im Interview:"Er zielte mit dem Gewehr auf meinen Kopf"

Adrian Pracon hat das Massaker auf der norwegischen Ferieninsel mit einem Schulterschuss überlebt. Als Mitorganisator des Camps war er zunächst beruhigt, als ein Polizist im Lager auftauchte. Doch dann blickte er dem mutmaßlichen Täter in die Augen - und flehte um sein Leben. Ein Gespräch.

Adrian Pracon hat das Massaker in einem Ferienlager auf der Insel Utøya unweit von Oslo überlebt. Der 21-Jährige war einer der Organisatoren des Feriencamps der sozialdemokratischen norwegischen Jugendorganisation AUF. Er kam mit einem Schulterschuss davon, und sprach vom Krankenhaus aus mit der Nachrichtenagentur dpa.

Wie hat alles begonnen?

Adrian Pracon: Es fing mit dem Bombenanschlag in Oslo an. Wir haben alle in einem großen Raum versammelt, um ihnen mitzuteilen, was passiert war. Dann haben wir gehört, dass Polizisten kommen. Wir dachten, es wäre gut, die Polizei auf der Insel zu haben - bis der Polizist plötzlich anfing, auf Leute zu schießen. Alle sind losgelaufen, niemand konnte glauben, was passiert war. Jeder lief um sein Leben und hat versucht, wegzuschwimmen.

Nachdem Sie einen Schulterschuss erlitten haben, haben Sie auf Twitter folgende Meldung gepostet: "Auf Utøya erschossen. Viele starben."

Pracon: Mir wurde klar, wenn ich es nicht überlebe, wäre es wohl klug den Leuten zu sagen, was passiert ist. Und anstatt es nur einer Person zu sagen, habe ich es einfach allen gesagt.

Wie sind Sie dann entkommen?

Pracon: Ich bin etwa hundert Meter geschwommen und mir ging die Luft langsam aus - wegen des Adrenalins, aber auch wegen der schweren Kleidung. Ich musste also zurückschwimmen und habe es kaum geschafft. Als ich wieder auf der Insel ankam, stand er da und zielte mit dem Gewehr auf meinen Kopf. Ich flehte, dass er nicht abdrückt - und er tat es nicht.

Haben Sie dem Schützen ins Gesicht blicken können?

Pracon: Ich habe ihn dreimal gesehen. Er war sehr ruhig, er war entspannt und kontrolliert. Es schien, als kümmerte es ihn gar nicht richtig. Er ging langsam und sah aus wie einer aus einem Film über Nazis.

Wie fühlen Sie sich jetzt?

Pracon: Ich glaube, dass ein Schutzengel über mich gewacht hat. Ich habe enormes Glück, am Leben zu sein. Aber ich kann das nicht feiern, wegen all denen, die ihr Leben so gewaltsam verloren haben.

Können Sie in die Zukunft blicken?

Pracon: Wir kämpfen weiter und halten zusammen, also werden wir durchkommen und sind nun stärker als je zuvor. Wir werden für Rechte und für die Justiz kämpfen.

Und kann ein solches Ferienlager je wieder stattfinden?

Pracon: Ich glaube, dass es auf dieser Insel nichts mehr geben soll. Ich denke, dass die Insel jetzt nur noch mit dem Tod in Verbindung gebracht wird. Hoffentlich können wir aus dieser Insel einen Ort machen, an dem wir den Opfern gedenken.

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dpa/Helen Maguire/bbr
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