Türkei und Syrien:Nahrungsmittelvorräte in Nordsyrien gehen aus

Türkei und Syrien: Viel zu wenige Hilfskonvois kommen in der nordwestlichen Rebellenregion Syriens an.

Viel zu wenige Hilfskonvois kommen in der nordwestlichen Rebellenregion Syriens an.

(Foto: Orhan Qereman/Reuters)

Das Welternährungsprogramm fordert eine Öffnung weiterer Grenzübergänge, weil die Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Die Zahl der Toten in beiden Ländern steigt auf insgesamt 22 000.

Die dramatische Lage im Nordwesten Syriens spitzt sich zu: Dem Welternährungsprogramm (WFP) gehen nach eigenen Angaben die Vorräte aus. Um die Lager wieder auffüllen zu können, müssten weitere Übergänge an der Grenze zur Türkei geöffnet werden, fordert die für den Nahen Osten zuständige Managerin der Einrichtung der Vereinten Nationen, Corinne Fleischer. "Der Nordwesten Syriens, wo 90 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, ist ein großes Problem. Wir haben die Menschen dort erreicht, aber wir müssen unsere Vorräte wieder auffüllen."

Nach Angaben der syrischen Rettungsorganisation Weißhelme sind die Lastwagen des WFP die einzige Hilfe, die bislang in der Region angekommen sei. Von den Vereinten Nationen (UN) sei, anders als von diesen behauptet, noch keine humanitäre Hilfe eingetroffen. Der Chef der Weißhelme, Raed Al-Saleh, machte den UN schwere Vorwürfe und appellierte an Regierungen in aller Welt, direkte Hilfe außerhalb der UN zu organisieren. "Die Vereinten Nationen sind auf der Seite der Regierung, nicht der Menschen", sagte Al-Saleh nach Angaben eines Übersetzers. "Sie sollten sich bei den Menschen entschuldigen."

Tausende Familien harrten bei tiefen Temperaturen im Freien aus, ohne Zelte und ohne Nahrungsmittel oder andere Hilfsgüter, sagte Al-Saleh. Nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) war am Donnerstagabend der erste aus der Türkei geschickte UN-Konvoi aus sechs Lastwagen in der Rebellenregion eingetroffen. An Bord waren Decken, Matratzen, Zelte, Solarlampen und anderes für mindestens 5000 Menschen. Ein zweiter Konvoi mit 14 Lastwagen überquerte am Freitagmorgen die Grenze und war auf dem Weg nach Idlib, wie ein IOM-Sprecher in Genf sagte.

Grund für die schwierigen Bedingungen sind der seit 2011 laufende Bürgerkrieg und dessen Folgen. Die Provinz Idlib im dicht besiedelten Nordwesten, eine letzte Hochburg von Aufständischen, ist faktisch isoliert vom Rest des Landes. Die Einreise ist nur noch über die Türkei möglich, Grenzübergänge sind weitgehend geschlossen. Strom und Internet gibt es kaum oder gar nicht.

Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad nutzt Hilfsgüter schon lange als Machtmittel im Konflikt, um die Rebellen unter Druck zu setzen. Der Machthaber geht seit Jahren brutal gegen die eigene Bevölkerung vor. Am Freitag ist er ins Erdbebengebiet gereist und besuchte mit seiner Frau Asma in einer Klinik in Aleppo Opfer des Erdbebens, wie die syrische Präsidentschaft mitteilte.

Weitere Überlebende unter den Trümmern geborgen

Auch vier Tage nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet entdecken Helfer noch weitere Überlebende unter den Trümmern eingestürzter Häuser. Immer wieder hören Retter trotz der eisigen Kälte in der Region noch die Laute Verschütteter, die verzweifelt auf Hilfe warten, berichtete eine Reporterin des staatlichen Senders TRT World. "Wir machen weiter, bis wir sicher sind, dass es keine Überlebenden mehr gibt", zitierte sie einen Sprecher der Einsatzkräfte.

In der Provinz Kahramanmaraş wurden der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge nach 92 Stunden eine Mutter und ihre Tochter gerettet. Zuvor war in der gleichen Region die fünfjährige Mina lebend aus den Trümmern geborgen worden. "Ich bin so glücklich, dass wir sie gefunden haben", sagte einer ihrer Retter. In der Provinz Hatay wurde 88 Stunden nach den Erdstößen die zweijährige Fatima aus dem Schutt gerettet. Außerdem konnten Rettungskräfte einen Mann unter einem Betonblock befreien, der dort 101 Stunden eingeklemmt war, wie der Sender CNN Türk berichtete.

Viele wollen das gerettete Baby Aja adoptieren

Die Geschichte einer berühmten Überlebenden geht weiter: Das in den sozialen Netzwerken als "Wunderbaby" bezeichnete Mädchen Aja wollen Tausende Menschen in der ganzen Welt adoptieren. So berichtet es der Fernsehsender BBC und zitiert Ajas Arzt Hani Marouf, der das Kind in einem Krankenhaus in Afrin betreut. Dutzende Anrufe hätten das Krankenhaus bereits erreicht.

Türkei und Syrien: Aja, das sogenannte "Wunderbaby", wurde nach dem Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze unter einem zerstörten Haus gerettet.

Aja, das sogenannte "Wunderbaby", wurde nach dem Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze unter einem zerstörten Haus gerettet.

(Foto: Anas Alkharboutli/dpa)

Das Baby wurde in den Trümmern geboren und war bei seiner Rettung noch durch die Nabelschnur mit seiner verstorbenen Mutter verbunden. Dem Arzt zufolge kam die gesamte Familie des Mädchens bei der Katastrophe ums Leben. Es habe Anfragen von entfernten Verwandten gegeben, konkret sei aber noch nichts. Die Entscheidung liege bei den Behörden. "So lange behandele ich sie wie mein eigenes Kind", wird der Krankenhausmanager zitiert.

Mehr Menschen als beim Erdbeben 1999 ums Leben gekommen

Die Zahl der Toten in beiden Ländern steigt rasant weiter, bis zum frühen Freitagmorgen auf insgesamt mehr als 22 000 Menschen. Nach Angaben von Vizepräsident Fuat Oktay sind in der Türkei inzwischen 18 342 Tote zu beklagen. Damit überstieg die Zahl der Todesopfer die des verheerenden Bebens von 1999. Damals kamen bei einem Erdbeben in der Provinz İzmit nahe Istanbul mehr als 17 000 Menschen in der Region ums Leben. Die Zahl der Verletzten lag bei 74 242. In Syrien wurden bislang mehr als 3300 Tote gefunden.

Das Beben mit einer Stärke von 7,7 hatte am frühen Montagmorgen das Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei erschüttert und enorme Zerstörungen angerichtet. Am Montagmittag folgte ein weiteres Beben der Stärke 7,6 in derselben Region.

Europäische Union und Weltbank kündigen Hilfe an

Die Europäische Union sprach den Menschen in der Türkei und Syrien ihr Beileid aus und stellte weitere Hilfe in Aussicht. "Unsere Gedanken sind bei den Familien, die ihre Geliebten verloren haben, und bei denjenigen, die immer noch auf Neuigkeiten warten", hieß es in einem von EU-Ratspräsident Charles Michel veröffentlichten Brief an Erdoğan. Das Schreiben war beim EU-Gipfel in Brüssel von allen 27 Staats- und Regierungschefs unterschrieben worden.

Die Weltbank kündigte an, der Türkei Unterstützung in Höhe von 1,78 Milliarden US-Dollar (1,65 Milliarden Euro) zur Verfügung zu stellen. Damit sollen die Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen vorangetrieben werden, wie die Weltbank in Washington erklärte.

Wie kann ich für die Opfer des Erdbebens spenden?

Hier eine Auswahl an Organisationen, die vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) als seriös eingestuft werden, die komplette Liste findet man auf der Internetseite des DZI:

Ärzte ohne Grenzen e. V. - Médecins Sans Frontières (MSF), Deutsche Sektion, www.aerzte-ohne-grenzen.de, Bank für Sozialwirtschaft, Iban: DE72 3702 0500 0009 7097 00

Aktion Deutschland Hilft e. V., www.aktion-deutschland-hilft.de, Bank für Sozialwirtschaft, Iban: DE62 3702 0500 0000 1020 30, Stichwort: Erdbeben Türkei und Syrien

Deutsches Rotes Kreuz e. V, www.drk.de, Bank für Sozialwirtschaft, Iban: DE63 3702 0500 0005 0233 07, Stichwort: Nothilfe Erdbeben Türkei und Syrien

UNO-Flüchtlingshilfe e. V., www.uno-fluechtlingshilfe.de, Sparkasse Köln-Bonn, Iban: DE78 3705 0198 0020 0088 50, Stichwort: Erdbeben

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