Süddeutsche Zeitung

U-Bahn-Schläger in Berlin vor Gericht:Getrieben von "Deutschenhass"

Vier Jugendliche prügelten im Februar einen Handwerker am Berliner U-Bahnhof Lichtenberg fast zu Tode. Sein Kollege entkam dem Schläger-Quartett nur mithilfe eines couragierten Passanten. In Berlin hat nun der Prozess gegen die jungen Männer begonnen: Es geht um hemmunglose Aggression und "Deutschenhass".

Malte Conradi, Berlin

Die ganze Stadt haben sie gegen sich, schon seit Monaten. Als die vier jungen Männer vor Gericht erscheinen, verbergen sie ihre Gesichter hinter Kapuzen und Aktendeckeln. In dem düsteren Gebäude wirken sie schmal und eingeschüchtert. Sie sitzen hinter einer Wand aus Panzerglas.

Neun Monate ist es her, dass "die feigen U-Bahn-Prügler", wie die Boulevard-Presse sie nennt, so lange auf einen 30-jährigen Maler einschlugen, dass er fast gestorben wäre. Sein Kollege wurde ebenfalls verletzt. Die Bilder der Überwachungskamera vom U-Bahnhof Lichtenberg zeigen eine solche Brutalität und Erbarmungslosigkeit, dass die Ermittler schon bald nicht mehr von einem Raub ausgingen.

Von niederen Beweggründen spricht die Staatsanwaltschaft nun und von "Spaß an grundloser Gewaltausübung gegen Schwächere". Am Donnerstag begann der Prozess vor dem Berliner Landgericht, die Anklage lautet auf zweifachen Mordversuch.

Und es steht noch etwas in der Anklageschrift. Etwas, das im vergangenen Frühjahr für Aufregung weit über Berlin hinaus sorgte: Die mutmaßlichen Täter hätten aus Hass auf Deutsche gehandelt. Als "Scheiß Deutsche" und "Scheiß Nazis" sollen sie die Opfer vor der Tat beschimpft haben. Die Angeklagten stammen aus dem Kosovo, aus Bosnien, aus Kenia und aus Irak.

Wahlkampf mit dem Thema "Deutschenfeindlichkeit"

Das Wort von einer zunehmenden "Deutschenfeindlichkeit" machte die Runde. Die Berliner CDU warb im Wahlkampf mit einer Postkarte, die den Überfall aus Sicht der Überwachungskamera zeigt. All das wird den Hintergrund bilden bei diesem Prozess gegen die heute 15- bis 18-jährigen Angeklagten. Wegen deren Alter findet er unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Einer der Verteidiger sagte, die Angeklagten hätten am ersten Verhandlungstag geschwiegen. Einen rassistischen Hintergrund der Tat wiesen sie aber zurück. Auch hätten sie nicht beabsichtigt, das Opfer zu töten. Dass sie den Mann misshandelten, hätten die Jugendlichen indes bei Vernehmungen zugegeben.

Angesichts der Videoaufzeichnungen blieb ihnen wohl auch nichts anderes übrig. Die Bilder zeigen detailliert, was auf dem Bahnsteig in Lichtenberg passierte, am 11. Februar, kurz vor Mitternacht. Der Malergeselle Marcel R. und ein Kollege sind auf dem Heimweg, als sie attackiert werden. Dem Kollegen von Marcel R. gelingt zunächst die Flucht. Als die vier Angreifer ihn in der Nähe des Bahnhofs stellen, kommt ihm ein Passant zu Hilfe und vertreibt die Schläger. Nach verschiedenen Angaben soll der Helfer Mitglied eines Rockerclubs sein.

Drei Monate Krankenhaus

Marcel R. hilft hingegen niemand, obwohl auf den Videoaufzeichnungen mehrere Passanten zu sehen sind. Er wird umzingelt und sofort mit wuchtigen Tritten gegen Kopf und Oberkörper zu Boden gebracht. Zwei Mal gelingt es ihm, sich wieder aufzurichten, immer brutaler treffen ihn die Schläge und Tritte. Schließlich bleibt Marcel R. regungslos liegen.

Drei Monate verbringt er nach dem Angriff im Krankenhaus, davon ist er einen Monat im künstlichen Koma. Wegen lebensgefährlicher Schwellungen und Blutungen seines Gehirns muss ein Teil der Schädeldecke entfernt werden. Während er um sein Leben kämpft, machen zwei der mutmaßlichen Täter auch in Untersuchungshaft mit Schlägereien von sich reden.

Ein Urteil wird gegen Ende des Jahres erwartet. Marcel R. hat unterdessen mit Lähmungen, Sprachstörungen und Panikattacken zu kämpfen. Es ist unklar, ob er jemals wieder ganz gesund wird.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1192625
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.11.2011/leja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.