Twitternder Lokführer:"Lass Hirn regnen"

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Ein Knall, ein Lichtbogen und schon steht der ICE: Am Ende der Ostertage steckte ein ICE mit 450 Bahnreisenden stundenlang in einem Tunnel fest. Der Lokführer kommentierte via Twitter, was um ihn gerum gerade passierte. An Kritik für seine Kollegen sparte der Mann dabei nicht.

Von Detlef Esslinger

Montagabend um Viertel vor neun, auf der ICE-Strecke von Frankfurt nach Köln, am Ende eines Tunnels: Ein Vogel prallt gegen den Stromabnehmer des Zugs, der von München nach Dortmund unterwegs ist. Sowohl der Stromabnehmer als auch die Oberleitung gehen kaputt. 400 Reisende sitzen fest, am Ende mehr als vier Stunden lang. Typisch Bahn?

"Peinlich", hat die stets zu jeder Meckerei bereite Organisation namens "Fahrgastverband Pro Bahn" sogleich festgestellt, und ganz gleich, ob man diese Meinung teilt oder nicht: Unstrittig dürfte sein, dass ganz vorne im ICE ein recht untypischer Lokführer saß. "Ein Knall, ein Lichtbogen und schon steht der ICE 528", teilte Oliver K. mit. Im Übrigen ahnte er es gleich: "Das sieht nach länger aus, oh, oh."

Es gibt sicher Angenehmeres, als am Abend des Ostermontag in einem Tunnel im Taunus zu stecken, bei ausgefallener Heizung, und schließlich nach Mitternacht über Stege in einen Ersatzzug klettern zu müssen. Der Vorfall ging jedoch glimpflich aus. Wer einen Twitter-Account hat und sein Smartphone mit sich führte, der durfte sich in den Stunden des Ausharrens in gewisser Weise informiert, wenn auch nicht optimal unterhalten fühlen.

Der Lokführer hatte ein Mitteilungsbedürfnis, er hatte nicht den Bahn-Sprech à la "Wegen Störungen im Betriebsablauf ..." drauf, und er meldete sich nicht über Lautsprecher, sondern über Twitter. Um 21:44 Uhr zum Beispiel schrieb er: "Die wollen die Leute evakuieren, ohne zu wissen, was da oben mit der Oberleitung los ist. Oh Mann lass Hirn regnen." Und sieben Minuten später: "Keine Ahnung, ob die Oberleitung nicht doch irgendwo auf'm Zug liegt." Will man so etwas lesen als manövrierunfähiger Passagier?

Entwarnung und Lob für die Kollegen

Fakt ist, dass die Bahn sofort zwei Dieselloks und ein Spezialfahrzeug zur Reparatur der Oberleitung aus Frankfurt schickte; Fakt ist auch, dass der Lokführer in seiner Kabine den Schaden kaum einschätzen konnte, wie er zudem selber schrieb. Darf man das: Seine Ahnungslosigkeit in die Welt twittern? Und seinen Kollegen Hirn absprechen?

Es haben schon Arbeitnehmer wegen Bagatellen ihren Job verloren; hier aber sagen Arbeitsrechtler, dem Lokführer - in Dortmund wohnend, eine Website mit Gedichten betreibend und alle Presseanfragen ablehnend - drohe wohl keine Sanktion. Wer niemanden konkret herabwürdigt, wer sich zudem noch auf eine gewisse Notsituation berufen kann, der müsse das Arbeitsrecht nicht fürchten.

Bleibt die Stilfrage. Die Bahn mag sich nur sehr allgemein zu ihrem Lokführer äußern, eine Sprecherin mailt Tipps, die der Konzern zum Verhalten in sozialen Medien verfasst hat. Zum Beispiel: "Beleidigungen gehen mir nicht über die Tastatur." Oder: "Erst denken, dann reden." Immerhin, der Mann im Tunnel beherrschte auch die Technik der Entwarnung und des Lobens. Sein Tweet um 23:37 Uhr: "Sauber die Oberleitung runtergeholt und den Stromabnehmer gekillt."

© SZ vom 04.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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