Süddeutsche Zeitung

Twitter-Kampagne in den USA:Schieß lieber auf den Priester

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Sie posieren vor dem Bücherregal, auf der Straße, im Garten. Auf einem der Fotos sind mit einem Bildbearbeitungsprogramm mehrere Einschusslöcher montiert. Zahlreiche US-Geistliche posten derzeit Selfies auf Twitter. Es ist eine nationale Kampagne unter dem Hashtag #UseMeInstead. Zu sehen sind Frauen und Männer, meist tragen sie den traditionellen Kollar, den weißen Stehkragen, der sie sofort als Kirchenleute erkennbar macht.

Der Grund für die Twitter-Aktion ist in diesem Fall aber nicht Eitelkeit, sondern Protest. Die Pastoren, Priester und Ordensleute in den USA wollen damit auf eine problematische Praxis bei der Polizei aufmerksam machen, nämlich das Benutzen von echten Fahndungsfotos bei der Scharfschützenausbildung. Auf diesen Fotos, so die Kritik, sind vor allem Schwarze abgebildet - ein Vorwurf, der umso schwerer wiegt, als das ganze Land nach den tödlichen Schüssen auf einen Schwarze in Ferguson über Rassismus bei der Polizei diskutiert.

Wie das Motto #UseMeInstead andeutet, bieten sie stattdessen Porträts von sich selbst als Übungsziele an. "Als Weißer habe ich gelernt, dass ich von euch nichts zu befürchten habe", schreibt zum Beispiel ein Priester aus Baltimore.

Auslöser für die Twitter-Kampagne war eine Zufallsentdeckung in North Miami Beach. Valerie Deant, ein Mitglied der Nationalgarde, fand bei einem Schießtraining auf den Zielscheiben durchlöcherte Fahndungsfotos, die eine Polizeieinheit zurückgelassen hatte. Auf den Bildern waren ausnahmslos Schwarze abgebildet, eines der Bilder, das vor 15 Jahren entstanden war, zeigte Deants Bruder. Die Frau beschloss, den Fall an die Öffentlichkeit zu bringen - und fand in den Geistlichen Verbündete.

Wie die Washington Post schreibt, hat die Stadt inzwischen untersagt, dass Fahndungsfotos - sogenannte mug shots - zum Schießtraining verwendet werden. Polizeichef Scott Dennis verteidigte seine Beamten gegen den Vorwurf des Rassismus. Die Fotos zeigten eben Menschen, die eine gewisse Ähnlichkeiten hätten mit realen Zielpersonen.

Jetzt liefern die Geistlichen den Polizisten eine Alternative zu den Fahndungsfotos. "Vielleicht macht das ein wenig schwerer, den Hahn abzuziehen", schreibt Pastorin Joy Gonnerman, die zu den Initiatoren der Twitter-Kampagne gehört. Denn wer besitzt schon die Kaltblütigkeit, mitten in das Gesicht eines Abgesandten Gottes auf Erden zu feuern?

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