TV-Appell an Entführer von Bankiersgattin:"Bitte, bitte, bitte!"

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In einem bewegenden Appell wendet sich die Familie der entführten Bankiersfrau Maria Bögerl in Aktenzeichen XY ... ungelöst an die Entführer. Am Morgen danach dementiert die Polizei eine Ermittlungspanne.

Sarah Ehrmann

Eine Minute und 16 Sekunden Horror zur Primetime: In einem kurzen Videobeitrag wandte sich die Familie der entführten Bankiersgattin Maria Bögerl am Mittwochabend in der ZDF-Sendung Aktenzeichen XY ... ungelöst direkt an den oder die Entführer. "Wir flehen Sie an, diese für uns alle so qualvolle Situation positiv zu beenden", presste Sohn Christoph, 24, mit flehendem Blick hervor. "Bitte lassen Sie uns wissen, wo sich unsere Mama befindet!"

Sichtlich erschüttert traten Thomas Bögerl und seine Kinder Christoph und Carina vor die ZDF-Kamera. Seit einem Telefonat vor einer Woche ist der Kontakt zu den Entführern von Maria Bögerl abgebrochen. (Foto: Foto: dpa)

Normalerweise sucht das ZDF in seinem TV-Klassiker Täter, diesmal aber sucht es auch das Opfer. Das Gesicht von Christoph Bögerl ist vor Schmerz erstarrt, nichts bewegt sich in diesen Sekunden. Sein Vater Thomas Bögerl, Vorstand der Sparkasse Heidenheim, wirkt zwischen seinen Kindern auf dem schmalen braunen Sofa der Welt entrückt. Sieben Tage schon hält die Ungewissheit an, was mit der Mutter geschehen ist. Die Stimmen beben.

Hoffnung ruht auf 76 Sekunden

"Bitte geben Sie uns auf irgendeinem Weg ein Zeichen", sagt Tochter Carina Bögerl, 27. Sie versucht, stark zu klingen.

Die Familie ist offensichtlich verzweifelt, ausgelaugt von vielen schlaflosen Nächten. Obwohl die Kamera sich keinen Zentimeter bewegt und es nach Aussage von Moderator Rudi Cerne der ausdrückliche Wunsch der Familie war, sich offensiv zu präsentieren, ist man von der Bereitschaft der Familie, sich so zu zeigen, bestürzt. Es wird deutlich: Dieser TV-Beitrag, diese 76 Sekunden, sind möglicherweise die letzte Chance von Familie Bögerl, Hinweise auf den Aufenthaltsort der Mutter und Ehefrau zu erhalten. Inzwischen zählt jede Stunde - je länger Maria Bögerl verschwunden bleibt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, sie lebend zu finden. Die Frau war am vergangenen Mittwoch aus ihrem Wohnhaus in Schnaithaim, einem Stadtteil von Heidenheim in Baden-Württemberg, entführt worden.

Entführungsdrama bei Aktenzeichen XY
:Appell an die Menschlichkeit

Vor Millionen Fernsehzuschauern appellieren Ehemann und Kinder von Maria Bögerl an deren Entführer. Die Polizei bestreitet eine Panne bei der Lösegeldübergabe. In Bildern.

Der Fall der entführten Bankiersgattin wird am Mittwochabend als dritter in der einst von Eduard Zimmermann gegründeten ZDF-Traditionssendung vorgestellt, in der die Kriminalpolizei auf Öffentlichkeitsfahndung setzt, um Straftaten aufzuklären.

Anders als in den anderen Fällen von Aktenzeichen XY gibt es in der Entführungssache Bögerl aber keine kommentierten filmischen Rekonstruktionen. Eine vermutlich pragmatische, aber sinnvolle Entscheidung: Es hätte einen schalen Beigeschmack gehabt, wenn auf den Appell der Familie eine nachgestellte Sequenz gefolgt wäre. Auch Moderator Cerne wirkt erschüttert von der berührenden Ansage der Familie. Er findet schwer zurück in seinen Text.

"Jetzt zu der Entführung von Maria Bögerl", hatte Cerne eingeleitet. Mehr musste er nicht sagen, viele Zuschauer haben nur wegen dieses Falls eingeschaltet. Die Suche nach der 54 Jahre alten Bankiersgattin beschäftigt seit fast einer Woche Medien und Kriminalpolizei.

Das Leid der Familie im Wohnzimmer

Die Tat von Heidenheim weckt traurige Erinnerungen an das Jahr 2002. Damals wurde der elfjährige Jakob von Metzler entführt, Sohn des Frankfurter Bankiers Friedrich von Metzler. Deutschland bangte mit. Und der stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident Wolfgang Daschner löste eine Debatte über die Anwendung von Folter von Tatverdächtigen in Ausnahmesituationen aus.

Nun sendet das ZDF diesen beklemmenden Beitrag, und das ist auch wieder eine Notreaktion in einer Ausnahmesituation. Der Sender überträgt das Leid der Familie in die Wohnzimmer. Die Zuschauer bleiben allein zurück, unfähig, zu helfen.

Jakob von Metzler war 2002 zum Zeitpunkt der Lösegeldübergabe längst tot. Wenn also Hartmut Schröppel von der Kriminalpolizei Heidenheim einschränkt, dass die Zuversicht der Polizei nach einer Woche natürlich abgenommen habe, so steht das Unausgesprochene im Raum. Das private Schicksal der Familie Bögerl wird zum kollektiven Leid.

Mit Hunderten Beamten, mit Tauchern, Hunden, Hubschraubern und Wärmebildkameras hat die Polizei Wälder, Seen und Berghöhlen durchkämmt. Rund 1000 Hinweise kamen aus der Bevölkerung - doch eine heiße Spur gab es bisher nicht.

Die Anhaltspunkte, denen die Polizei nachgeht, sind dürftig: Wer hat gesehen, wie die Deutschlandflagge an der Anschlussstelle der A 7 zwischen Heidenheim und Aalen-Oberkochen aufgestellt wurde - dort, wo die Geldübergabe hätte stattfinden sollen? Warum holte der Entführer das Geld, wie kurz zuvor telefonisch mit Thomas Bögerl vereinbart, nicht ab? Und wer hat Maria Bögerls schwarzes Mercedes-A-Klasse-Auto gesehen, bevor es am Kloster Neresheim abgestellt wurde?

"Lassen Sie unsere Mama frei!"

Das Gesicht von Thomas Bögerl ist rotgeweint und vor Schmerz verzerrt, als er am Ende des kurzen Videos noch einmal spricht. Er schluchzt. "Ich appelliere an Ihre Menschlichkeit! Lassen Sie unsere Mama, unsere Mutter freikommen. Bitte, bitte, bitte!" Seine von Tränen erstickte Stimme bricht. Seit einem Telefonat mit dem Erpresser, in dem Thomas Bögerl kurz seine Frau sprechen konnte, gibt es keine Lebenszeichen mehr von ihr. Damals sagte sie, ihr Leben sei bedroht.

Ein Erfolg der Sendung ist noch nicht absehbar. Doch schon am Schluss der Live-Übertragung aus München konnte Moderator Cerne den ersten möglicherweise sachdienlichen Hinweis bekanntgeben: Ein Besucher des Klosters, in dem der Wagen gefunden worden war, hatte dort am Freitagnachmittag Fotos geschossen - bevor die Polizei das Auto gegen 19 Uhr entdeckte. Ob auf den Fotos Personen zu sehen sind, die mit der Entführung zu tun haben, oder ob es sich nur um Hinweis XY handelt, wird sich herausstellen.

Polizei dementiert Panne

Ein Polizeisprecher bestritt am Morgen nach der Sendung, dass es bei der gescheiterten Lösegeldübergabe eine Panne gab. Nach einem Bericht der Bild-Zeitung hatten Angestellte der Autobahnmeisterei den Müllsack mit dem Lösegeld eingesammelt, der 16 Stunden zuvor dort platziert worden war. Zivilpolizisten hätten den Sack kurze Zeit später zurückgebracht.

Die Polizei bestätigte zwar, dass der Sack unbeabsichtigt von der Autobahnmeisterei abtransportiert wurde. Er sei aber nicht zurückgebracht, sondern von der Polizei sichergestellt worden. "Wir hätten das Geld kurze Zeit später ohnehin abgeholt", sagte der Sprecher.

Bis Mitternacht gingen beim ZDF 200 Hinweise ein: Es meldeten sich beispielsweise Geschäfte, die Deutschlandflaggen der fraglichen Art in der jüngsten Vergangenheit verkauft hatten - und sogar noch wussten, an wen.

Familie Bögerl bangt weiter.

© sueddeutsche.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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