Tumblr-Blog gegen Rassismus in den USA:Wir sind nicht Trayvon Martin

Lesezeit: 4 min

Wie tolerant sind die USA? Nach dem Freispruch von George Zimmerman, der den 17-jährigen Schwarzen Trayvon Martin erschossen hat, diskutiert Amerika über Rassismus im Alltag. Rasant verbreitet sich ein Blog mit Erfahrungsberichten im Netz. Ein Großteil der Autoren ist weiß.

Von Tobias Dorfer

Es ist, als habe sich ein Ventil gelöst. Der Freispruch von George Zimmerman, der den 17 Jahre alten Schwarzen Trayvon Martin erschoss, hat die Debatte über Rassismus in den USA neu entfacht. In Los Angeles, Chicago und New York demonstrieren Tausende Menschen gegen Diskriminierung.

Deutlich sichtbar und mitunter auch gewalttätig ist der Protest auf der Straße - doch im Internet ist er mindestens genauso laut. Mehr als 800.000 Bürger unterstützen eine Online-Petition der Bürgerrechtsorganisation NAACP. Darin wird US-Justizminister Eric Holder aufgefordert, George Zimmerman wegen der Verletzung eines "fundamentalen Bürgerrechts, des Rechts auf Leben" vor ein Bundesgericht zu stellen*.

Es sind aber nicht nur die schwarzen Amerikaner, die sich über den Freispruch von Zimmerman empören. Gerade auch weiße US-Bürger fragen sich: In was für einem Land leben wir eigentlich?

Ein Tumblr-Blog bündelt die Emotionen. "We Are Not Trayvon Martin" heißt er und zeigt in bewegenden und lesenswerten Wortmeldungen, wie Rassismus in den USA erlebt wird. Initiiert hat die Seite Joseph Phelan aus Brooklyn. Er machte am Sonntag mit seinem Beitrag den Anfang:

"I will never be Trayvon Martin. Look at me. I am a white-man from New York. I wear boat shoes and white t-shirts. When I walk down the street in Brooklyn I am not seen as a street thug or a criminal, I am seen as normal. (...) I don't have to be Trayvon Martin to stand with those who are Trayvon and say enough is enough. I'm not Trayvon Martin and I oppose the racism that killed him, and kills him over and over. We need to change this country. Tell me why you are not Trayvon and how you want our country to be." (...hier das gesamte Statement)

Wie dieser "weiße heterosexuelle Amerikaner" protestieren auf wearenottrayvonmartin.tumblr.com Hunderte Menschen gegen Rassismus. (Foto: Screenshot: http://wearenottrayvonmartin.tumblr.com/)

Viele Menschen profitieren vom Rassismus, beschreibt Phelan in einem Statement seinen Antrieb:

"(...) Race shapes my world as much as it shapes Trayvon's, and it is my responsibility to see that and change that."

Rasant verbreitet sich der Link von Phelans Blog über Twitter, Facebook und andere soziale Netzwerke. Immer mehr User schildern ihre eigenen Erfahrungen. Sie kommen aus Chicago und Tennessee, aus Seattle und New York, aber auch aus Frankreich und Großbritannien.

Juden, Muslime, Teenager oder Studenten sind genauso darunter wie Rentner, Homosexuelle und Menschen mit Eltern unterschiedlicher Herkunft. Auch Schwarze schreiben Beiträge, aber die Mehrheit der Autoren gehört zu jenem Teil der Gesellschaft, die keine Diskriminierung fürchten müssen: weiß, gut gebildet, heterosexuell, finanziell abgesichert, mindestens Mittelschicht. Sie erzählen, wie sie Rassismus erleben - zum Beispiel beim Ladendiebstahl, wo sie sich jederzeit mit einer Notlüge herausreden können, weil man ihnen grundsätzlich nichts Böses unterstellt:

"I am not Trayvon Martin. I can (and do) shoplift whenever I want. If I ever even get caught I feign like I was distracted by talking on my phone and gleefully hand over the money. After all, I'm clearly a middle-class normal-looking white dude. We don't ever do things wrong."

Eine Frau, die mit einem Schwarzen zusammen ist, schreibt, dass ihr erst durch diese Beziehung bewusst wurde, wie tief der Rassismus noch immer in ihrer Nation verankert sei:

"I am not Trayvon Martin. I am the white female half of an interracial couple. I am not Trayvon Martin but my better half could be. I am not Trayvon Martin but my children could be. It wasn't until I started dating a black man, that I realized how much racism is still alive. (...weiter)"

In einem weiteren Beitrag beschreibt eine junge Frau ihre Erfahrungen mit der Polizei - und warum sie trotz ihres respektlosen Auftretens nie verhaftet wurde:

"I go to protests. I shout. I scream. I've punched people. I walk in the streets at night, carrying soda and talking loudly with my friends. I pick fights. I flip the bird. I give the cops dirty looks - and if they're stopping and frisking, I say 'you are racist' loud enough for them to hear. And when it's chilly, I wear a hoodie. The only reason I've never been arrested with my disrespectful attitude is that I am white."

Viele der Autoren ergänzen ihren Text durch ein Foto. Die Botschaft bekommt ein Gesicht. Mehr als 800 Beiträge erreichen den Betreiber in kürzester Zeit. Joseph Phelan kommt mit dem Freischalten nicht mehr hinterher. "Wir ertrinken in Posts", schreibt er auf der Tumblr-Seite.

Geschichten über rassistische Aussagen von Polizisten stehen neben Bildern von Menschen mit schwarzen Familienmitgliedern. Was mit Trayvon Martin geschah, das könne den drei kleinen Jungs auf dem Foto genauso passieren, schreibt ein User. Ein 52-Jähriger Mann berichtet, wie er in lateinamerikanischen Ländern als reicher Amerikaner gut behandelt wurde. "Selbst in einem Land, in dem ich einer Minderheit angehöre, bin ich nicht Trayvon Martin. Weil ich weiß bin", endet sein Beitrag.

Steht es wirklich so schlimm um die USA? In den vergangenen Monaten und Jahren zeigte sich doch vermehrt das liberale und weltoffene Amerika. Da wird ein afroamerikanischer Charismatiker zum Präsidenten gewählt. Ende Juni kippt der Oberste Gerichtshof der USA ein Wahlgesetz, das als Meilenstein bei der Gleichstellung von Afroamerikanern gilt. Der Tenor: Wenn bestimmte Wählergruppen nicht mehr benachteiligt werden, braucht man auch kein Gesetz mehr dagegen.

Aber es gibt auch andere Realitäten. Einer im Oktober 2012 veröffentlichten Umfrage der Nachrichtenagentur AP zufolge haben 51 Prozent der US-Bürger eine deutlich ablehnende Haltung gegen Schwarze - etwas mehr als vier Jahre zuvor. Vor allem in den Südstaaten sind die Vorurteile der weißen Amerikaner groß, so die Aussage einer kürzlich veröffentlichten Studie.

Worin solche Vorurteile münden können, demonstrierte der TV-Sender ABC vor einigen Jahren mithilfe eines Experiments. Mit versteckter Kamera wurden Passanten dabei beobachtet, wie sie auf einen Fahrraddieb reagieren. Machte sich ein Weißer an dem Fahrradschloss zu schaffen, gingen die meisten unbeeindruckt weiter. War der Dieb jedoch schwarz, griffen viele Menschen ein. Der Clip ist etwa drei Jahre alt.

Glaubt man den Beiträgen auf Joseph Phelans Tumblr-Blog, dann hat sich seitdem nicht viel geändert. Nicht nur, aber auch deshalb sind viele Amerikaner froh über die Seite. Wie die Mutter einer 13-jährigen Tochter, die darin ihre Verbundenheit mit Trayvon Martins Familie ausdrückt - und ihre Hoffnung, dass Amerika eines Tages besser sein wird als jetzt:

I am not Trayvon Martin's mother, but as a mother I want my child to be safe and happy, just like she did.

(...)

My heart breaks for her and his family.

America should be better than this. I hope someday it will be."

* In einer alten Version des Textes war an dieser Stelle von "zivilrechtlichen Schritten" die Rede. Wir haben den Fehler inzwischen ausgebessert.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: