Tschechien:Anschaffen im Dunkeln

Eine Stadt in Tschechien stellt Bilder vom Straßenstrich ins Internet, um Freier abzuschrecken: Doch solche Maßnahmen helfen niemandem, sagt Sozialarbeiterin Christine Noll.

Birgit Lutz-Temsch

Die Stadtpolizei der nordböhmischen Stadt Chomutov an der Grenze zu Sachsen will Freier abschrecken: Auf der Internetseite der lokalen Polizei werden neuerdings detaillierte Fotos von Fahrzeugen veröffentlicht - auf den Bildern ist zu erkennen, wie Prostituierte ihre Dienste anbieten.

Tschechien: Strafen für Freier treffen laut Beraterin Noll zuerst die Prostituierten.

Strafen für Freier treffen laut Beraterin Noll zuerst die Prostituierten.

(Foto: Foto: ddp)

Christine Noll, Sozialarbeiterin und Leiterin der Fach- und Beratungsstelle Nachtfalter für Prostituierte in Essen, sieht in solchen Maßnahmen keine Lösung - im Gegenteil.

sueddeutsche.de: Was halten Sie davon, als Abschreckung Fotos von Freiern ins Internet zu stellen?

Christine Noll: Solche Aktionen treffen immer und als Erstes die Frauen. Denn die Frauen werden dadurch wieder in die Dunkelheit, ins Abseits getrieben.

sueddeutsche.de: Aber es sollen ja in erster Linie die Freier abgeschreckt werden ...

Noll: Das wird aber nicht passieren. Das Geschäft der Frauen läuft über die Nachfrage der Männer, und die besteht weiterhin - sonst würde es nicht seit Jahrhunderten Prostitution geben, und sonst würden dort auch nicht so viele Frauen am Straßenrand stehen. Es gibt auch in Schweden das Modell der Freierbestrafung, das wird politisch europaweit immer wieder diskutiert. Aber wir halten davon nicht viel.

sueddeutsche.de: Warum nicht?

Noll: Weil die Prostitution dadurch nicht weniger wird, nur gefährlicher. Die Frauen verlieren durch solche Maßnahmen ihren Schutz. Ich will nicht sagen, dass alle Freier dann zu Tätern werden. Doch die Tatsache, dass die Frauen dann wieder allein, ohne Umfeld, einfach irgendwo arbeiten, lädt zu Kriminalität ein, die Frauen werden vermehrt Opfer von Gewaltübergriffen. Und wir als Beratungsstelle kommen auch nicht mehr an die Prostituierten heran. Sie verschwinden im Nichts.

sueddeutsche.de: Was wäre dann der richtige Umgang?

Noll: Hier in Essen wird gerade nach einem jahrelangen Kampf der geduldete Straßenstrich legalisiert. Das ist aus mehrerlei Gründen sinnvoll. Denn so wie das nun in Tschechien abläuft, ist es natürlich auch für die Menschen heftig, die dort wohnen - wenn Prostitution neben Kindergärten und Schulen stattfindet. Deshalb setzt man sich ja auch in Tschechien mittlerweile dafür ein, dass es ein Gesetz geben soll, das die Prostitution anders regeln soll.

sueddeutsche.de: Was passiert jetzt mit den Prostituierten in Chomutov?

Noll: Ich nehme an, dass die Frauen zum größten Teil nicht fotografiert werden möchten, denn es sind ja viele darunter, die ganz normal in einem anderen Stadtteil leben, wo der Nachbar nicht weiß, dass die Frau anschaffen geht. Diese Frauen haben oftmals Familien - durch solche Fotos wird deren soziales Netzwerk zerstört, in das sie eingebunden sind.

Es gibt dort genügend Frauen, die mit Prostitution wirklich ihren Lebensunterhalt verdienen und Familien ernähren, weil gerade in Osteuropa soziale Netzwerke fehlen. Die Frauen müssen jetzt sehen, wo sie ihr Geld herkriegen, denn denen wird gerade ihr Geschäft kaputtgemacht - diese Frauen haben jetzt ein echtes Problem. Das ist das, was dort jetzt passiert. Hilfreich ist das nicht.

sueddeutsche.de: Nun dürfen tschechische Gemeinden aber per Gesetz keine Rotlicht-Bezirke ausweisen.

Noll: Deshalb sollte man auch dort eine gesetzliche Regelung finden, die mit unserer vergleichbar ist. Im deutschen Prostitutionsgesetz ist Prostitution seit 2002 nicht mehr strafbar - aber weiterhin jegliche Förderung. Mann muss hier differenzieren. Denn man will schließlich keinen Menschenhandel fördern, bei dem es ja vorwiegend um sexuelle Ausbeutung geht.

Ein solches Gesetz bietet dem Staat ganz andere Möglichkeiten, einzugreifen. Und den Frauen bietet es Vorteile, weil dann geregelte Rahmenbedingungen entstehen. Prostitution findet dann nicht mehr im Verborgenen, Illegalen statt. Die Frauen gehen damit einer entkriminalisierten, sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach.

sueddeutsche.de: Was würden Sie den Männern raten, die dort fotografiert werden?

Noll: Denen kann ich nicht viel raten - und die Freier sind für mich auch zweitrangig. Die Männer können natürlich in Schwierigkeiten kommen, wenn sie zu Hause eine Ehefrau haben - aber was glauben Sie, wie oft wir von Männern hören, die von Prostituierten ungeschützten Geschlechtsverkehr wollen, obwohl sie verheiratet sind und in ihrer Ehe dann sicher keinen geschützten Sex haben ... Ich verurteile aber keine Freier. Mir geht es um die Frauen.

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