Süddeutsche Zeitung

Tropensturm Harvey:Chaotische Zustände in überfüllten Notunterkünften

  • Schätzungsweise sind 30 000 Texaner nach Hurrikan Harvey obdachlos.
  • Die Notunterkünfte sind überfüllt, die Zustände teilweise chaotisch.
  • Polizisten sollen für Sicherheit sorgen, damit die Lage nicht eskaliert.

Von Beate Wild

Tropensturm Harvey waren sie gerade lebend entkommen, doch damit sollten die Strapazen noch lange nicht zu Ende sein. In der Kongresshalle in Houston, der größten Notunterkunft der Stadt, sind die Schlangen der durch den Sturm obdachlos gewordenen Texaner am Dienstag sehr lang. Teilweise dauert es Stunden, bis alle Bedürftigen mit trockener Kleidung und Essen versorgt sind. Die sanitären Zustände und die angespannte Stimmung der Gestrandeten werden von Stunde zu Stunde schlimmer.

9000 Menschen drängen sich seit Montag im "George R. Brown Convention Center" im Zentrum der 2,3 Millionen Metropole zusammen, obwohl es eigentlich nur Platz für 5000 gibt. "Ständig kommen Neue an, es ist überwältigend und teilweise sehr chaotisch", erzählt Uriel Rodriguez, ein Nachbar, der zum Anpacken vorbeigekommen ist. Freiwillige wie er helfen beim Verteilen von Decken, Kleidung und Essen, wenn es denn welches gibt.

Auch andere Notunterkünfte sind längst an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen. In Dallas beherbergt das "Hutchison Convention Center" etwa 5000 vor der Flut Geflohene. Außerdem haben viele Schulen und Kirchen in Houston, San Antonio und Austin ihre Tore für die Bedürftigen geöffnet. Insgesamt müssen mehr als 30 000 Texaner in Behelfsunterkünften Zuflucht suchen.

"Die Menschen sind müde, ungeduldig, depressiv und stinken"

Menschen, die gerade alles verloren haben, sollen ein Dach über dem Kopf bekommen. Doch teilweise sind die Zustände in den Mega-Notunterkünften alles andere als ideal. "Die Absichten sind gut, aber die Bedingungen sind natürlich nicht wie in einem Hotel", sagt Vic Newmann. Auch er hilft in der Halle schon seit Montag mit, die Bedürftigen zu versorgen. "Die Menschen sind müde, ungeduldig, depressiv und stinken", erzählt der aus Houston stammende Mann. Alles brauche nervenaufreibend viel Zeit, die Schlangen seien enorm lang und den erschöpften Asylsuchenden gehe es nicht schnell genug.

Brittney, eine Mutter aus Houston, die mit ihrer Tochter seit Montag Zuflucht in der Kongresshalle sucht, ist entsetzt über die chaotischen Zustände. "Keine Decken, keine Duschen, zu wenig Essen", sagt sie zu einer Reporterin des Lokalsenders KHOU. "Hier drinnen gibt es viele Verrückte. Leute, die normalerweise auf der Straße leben und psychische Probleme haben. Viele sind auf Drogen", beklagt sie sich.

Dann zeigt sie auf ihrem Handy ein Video, auf dem ein irre schreienden und wild tanzenden Mann zu sehen ist. Sie hat ihn als Beweis gefilmt. Ihrer Meinung nach ist er auf einem Drogentrip. Am Morgen, als sie aufgewacht ist, habe außerdem ein anderer Mann vor ihr gestanden und sie und ihre Tochter angestarrt. Das habe ihr Angst gemacht. "Für die Kinder ist das nicht sicher hier", glaubt sie.

Außerdem werde es immer schmutziger in der Halle. Manche pinkelten einfach auf den Boden, berichtet Brittney. Ältere Leute, die sich alleine nicht helfen könnten, machten sich in die Hosen. Keiner helfe ihnen auf die Toilette, keiner gebe ihnen saubere Kleidung. "Sie müssen in den verschmutzten Klamotten bleiben und stinken erbärmlich", schildert sie die Situation.

Viele Asylsuchende beklagen außerdem, dass das Essen nicht für alle reiche und sie hungern müssten. Betten gebe es in der Kongresshalle in Houston zudem nur für 5000 Menschen. Die anderen 4000 müssen auf dem Boden schlafen.

Mercedes Rodriguez sind all diese Bedingungen egal, sie hat viel größere Sorgen. Die alleinerziehende Mutter hat auf der Flucht vor der Flut ihre achtjährige Tochter Sincere verloren. Seither wird sie vermisst. Rodriguez konnte sich mit ihren beiden Söhnen in die Kongresshalle retten, doch von der Tochter fehlt jede Spur, erzählt sie dem Lokalsender KHOU. Seit drei Tagen hat sie nicht mehr geschlafen, sie kann kaum noch sprechen vor Erschöpfung. Geht es um ihre Tochter, fängt sie immer wieder zu weinen an.

Polizisten sollen für Sicherheit sorgen

Um für die Sicherheit der Bedürftigen zu sorgen, patrouillieren Polizisten durch die Halle. Sie sollen Gewalt und Kriminalität verhindern, wie sie sich 2005 bei Hurrikan Katrina im Superdome, der größten Notunterkunft in New Orleans abgespielt haben. Dort sollen hilflose Frauen vergewaltigt und Schlafende bestohlen worden sein. Wegen der unerträglichen Zustände über viele Tage hinweg hätten sich die Zuflucht Suchenden teilweise geprügelt und nur die Stärkeren hätten es geschafft, sich durchzusetzen, berichteten hinterher Augenzeugen.

Für die Menschen in Houston wird es ebenfalls noch Tage dauern, bis sie die Kongresshalle wieder verlassen können. "Uns wurde gesagt, dass sie frühestens Freitag oder Samstag nach Hause gehen können", sagt Juan Sanchez, Mitarbeiter der Stadtverwaltung Houston. Aber jeder könne im Notfall so lange bleiben, wie es notwendig sei.

Die Bundesnotfallbehörde FEMA werde den Obdachlosen danach helfen, einen Platz zu finden, wo sie erst einmal bleiben könnten, so Sanchez. Im Großen und Ganzen hätten die meisten Betroffenen Verständnis für die Umstände, denn an Stürme und Hochwasser seien die Leute in Texas schon gewöhnt, sagt Sanchez.

Helfer Vic Newmann drückt es ein bisschen anders aus: "Manche sind dankbar. Die Mehrheit ist es nicht."

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