Trendspiel Escape Room:"Eine ganz furchtbare Geschichte"

A clock, clues and locks are seen in an escape room at ExitPointGames in Budapest

Die Zeit läuft: Noch 45 Minuten und 22 Sekunden. Solche "Escape Rooms", aus denen man sich unter Zeitdruck durch Rafinesse befreien muss, erfreuen sich großer Beliebtheit - wie dieser in Budapest.

(Foto: Laszlo Balogh/Reuters)

Spielforscher Rainer Buland über das Unglück in einem polnischen "Live Escape Room" und den Erfolg von Rätselspielen, bei denen man sich einsperren lässt.

Interview von Martin Zips

Mehrere Spieler sitzen in einem Raum, den sie erst dann wieder verlassen dürfen, wenn es ihnen gelingt, in einer bestimmten Zeit mehrere Rätsel zu lösen: Das, was jetzt weltweit als "Live-Escape-Game" Karriere macht, hat gerade im polnischen Koszalin fünf 15-jährigen Mädchen das Leben gekostet.

In einem Nebenraum war ein Brand ausgebrochen, die Teilnehmerinnen einer Geburtstagsfeier starben an Kohlenmonoxid-Vergiftungen. Ein Gespräch mit Rainer Buland vom "Institut für Spielforschung und Playing Arts" an der Salzburger Universität Mozarteum.

SZ: Herr Buland, allein in Deutschland gibt es derzeit geschätzt eintausend solcher Escape-Rooms - in gut 180 Städten. Was fasziniert Menschen daran, sich einsperren zu lassen, um gemeinsam Rätsel zu lösen?

Rainer Buland: Das Lösen von Rätseln hat Menschen schon immer begeistert. Allerdings geschah das in vielen Mythen und Erzählungen meist eher, um von außen irgendwo herein zu kommen. Zum Beispiel in der Ödipus-Sage, in der die Sphinx all jenen Menschen, die in die Stadt Theben herein möchten, schwierige Rätsel stellt. Wer falsch antwortet, wird aufgefressen. Nur Ödipus weiß die richtige Antwort und wird belohnt. Bei Escape-Games braucht man halt die Lösung, um von drinnen wieder heraus zu kommen.

In Nordpolen, wo es zu dem tragischen Unglück mit fünf Mädchen kam, hat genau das nicht geklappt.

Eine ganz furchtbare Geschichte. Für Escape-Rooms in Deutschland und Österreich immerhin gelten sehr strenge Sicherheitsauflagen. Bau-, Brandschutz- und Betriebsverordnungen, die unbedingt eingehalten werden müssen. Fluchtwege müssen gut gekennzeichnet sein, verriegelte Türen darf es nicht geben. In Polen scheint das anders gewesen zu sein.

Werden Escape-Räume denn von Land zu Land unterschiedlich gebaut?

Ja, die Sicherheitsauflagen sind sehr unterschiedlich. Wissen Sie, ich sehe das so: Je reicher eine Gesellschaft ist, umso mehr kann sie natürlich auch in Sicherheit investieren. In Ländern, die sich das nicht leisten können, passiert dann eben auch mehr. Nicht nur in Escape-Rooms. Wir haben gerade in Österreich zurzeit die größten Schwierigkeiten, weil so eine hohe Lawinengefahr ist. Es wird zwar alles gesperrt, was geht, aber die Menschen sind eben auch oft unglaublich unvernünftig. Und manchmal passiert so ein Unglück trotz aller Sicherungseinrichtungen. Wie in Polen. Und Kohlenmonoxid ist natürlich immer tückisch, weil man es nicht wahrnimmt.

Ausgelöst wurde der Escape-Room-Boom durch ein japanisches Computerspiel, dem viele analoge Rätselräume folgten. Können solche Exit-Spiele vielleicht auch als Gegentrend zur Digitalisierung gesehen werden?

Da muss man aufpassen. Als Spielforscher weiß ich: Junge Leute unterscheiden nicht mehr zwischen analog und digital. Für die sind diese beiden Welten nicht getrennt. Wer damit hadert, der sollte sich bewusst machen, dass seine analoge Weltsicht letztlich auch nichts anderes ist als eine Konstruktion. In Escape-Rooms, in denen zur Lösung des Rätsels nicht selten auch der Gebrauch eines Computers eine Rolle spielt, verschwimmen die alten Grenzen zwischen analog und digital. Das macht diese Spielerei so zeitgemäß.

Und warum, glauben Sie, lösen die Menschen heute lieber Rätsel, um von drinnen nach draußen zu kommen statt umgekehrt?

Eine gute Frage. Tatsächlich sind nicht nur die antike Mythologie, Märchen wie "Ali Baba und die 40 Räuber" und germanische Heldensagen voll von Rätseln, in denen eher die andere Richtung eine Rolle spielt.

Trendspiel Escape Room: Rainer Buland, 56, Ludologe an der Salzburger Kunstuniversität, hat das seit 1990 existierende Institut für Spielforschung und Playing Arts mit aufgebaut und leitet es. Die dortige Spielesammlung reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück.

Rainer Buland, 56, Ludologe an der Salzburger Kunstuniversität, hat das seit 1990 existierende Institut für Spielforschung und Playing Arts mit aufgebaut und leitet es. Die dortige Spielesammlung reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück.

(Foto: Fabian Kitzenberger)

In "Der (kleine) Hobbit" wird Gollum beim Rätsel um den Ring betrogen. Indiana Jones gelangt nur durch die Lösung mehrerer Aufgaben zum Heiligen Gral und die Königin kriegt vom Rumpelstilzchen auch nur über die richtige Lösung ihr Kind zurück. Was soll die echte oder gespielte Einschließerei?

Ich würde es so sagen: Das Konzept heutiger Escape-Rooms passt wahnsinnig gut in unsere zumindest gedanklich streng normierte Eventkultur. Da muss ein Film idealerweise zwei Stunden dauern, ein Popsong drei Minuten und ein Spiel nicht mehr als eine Stunde. Was macht man also, wenn man eine Kleingruppe etwa auf einer Feier bespaßen will? Man steckt sie in einen Raum und gibt ihnen genau eine Stunde Zeit. Das Herausgelassenwerden knüpft man - dramaturgisch perfekt - an die richtige Antwort. So lernt sich die Gruppe auch besser kennen.

Offenbar rechnet sich das auch. Der deutsche Marktführer, der bereits mehr als 20 Escape-Rooms betreibt, setzt mit dem Konzept jährlich mehrere Millionen Euro um.

Mit Escape-Rooms lässt sich gut kalkulieren. Die Benutzungszeit ist klar geregelt, die Raummiete überschaubar, der organisatorische Aufwand gering und die Online-Vermarktung simpel. Ein ideales Konzept zum Geldverdienen also.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise das Rätselduell zwischen Bilbo und Gollum im bekannteren Werk "Der Herr der Ringe" verortet. Allerdings fand dies im "Kleinen Hobbit" statt.

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