Süddeutsche Zeitung

Treffen in Köln:"Wer sind Sie denn, Lieber?" - "Jörg Kachelmann ist mein Name!"

Alice Schwarzer hält an der Uni Köln einen Vortrag über Täterjustiz - dann meldet sich überraschend der Meteorologe im Publikum zu Wort. Schwarzer ist erst irritiert und setzt dann zum Gegenschlag an.

Von Tanja Rest, Köln

Der Vortragsabend mit dem etwas grob zusammengenagelten Titel "(Sexual)Gewalt gegen Frauen und Recht" in Aula 2 der Uni Köln ist auf der Zielgeraden angelangt: Fragen an die Rednerin. Alice Schwarzer ist spürbar entschlossen, bald nach Hause zu kommen. Eine Stunde lang hat sie über die Täterjustiz gesprochen, die "Pro-Angeklagten-Berichterstattung" der Medien gegeißelt, sie hat vorgerechnet, warum von 100 Vergewaltigern nur einer verurteilt werde. Der Fall Kachelmann blieb natürlich nicht unerwähnt.

Zur Erinnerung: 6. September 2010, auf Seite eins von Deutschlands größter Boulevardzeitung prangt noch das barbusige Bild-Mädchen, auf Seite 10 berichtet Deutschlands berühmteste Feministin über den Auftakt im Prozess gegen Jörg Kachelmann. Ihr Vorgehen dabei ist mindestens fragwürdig: Sie gibt Objektivität vor und schlägt sich doch unmissverständlich auf die Seite der Nebenklägerin. "Jetzt sitzt die in den vergangenen Wochen von vielen als ,Lügnerin' und ,Rachsüchtige' Abgestempelte da. Mit erhobenem Haupt. Ihre ganze Ausstrahlung signalisiert: Ich habe nichts zu verbergen!"

Das ist so eine dieser objektiven Schwarzer-Passagen.

43 Verhandlungstage und viele Schwarzer-Kolumnen später wird der Wettermoderator Jörg Kachelmann vom Vorwurf freigesprochen, seine damalige Freundin vergewaltigt zu haben. Später entscheidet ein Gericht, dass Alice Schwarzer nicht mehr den Eindruck erwecken dürfe, Kachelmann sei ein Vergewaltiger. Beim Vortrag in Köln hat sie diese Untersagung erkennbar im Kopf. Sie kenne die Wahrheit bis heute nicht, versichert Schwarzer. Die Vorverurteilung der Frau durch die Medien habe sie eben umgetrieben. "Es ging mir auch grundsätzlich um das Problem der sexuellen Gewalt von Männern gegen Frauen." Es klingt nicht richtig nach Entschuldigung, aber doch so, als habe da eine das nagende Bedürfnis, ihre Motive zu erläutern. Dennoch spart sie auch hier nicht an Spitzen gegen Kachelmann und seinen Verteidiger Johann Schwenn, der schweinslederne Handschuhe getragen und "die Stimmung im Gerichtssaal zum Kippen gebracht" habe. Applaus, Fragerunde.

Das alles muss man wissen, um die feine Qualität des nun folgenden Wortwechsels in der Kölner Aula würdigen zu können. Stimme von ganz hinten: "Vielen Dank, dass ich heute hier sein darf, ich hab' meinen Namen ganz oft gehört."

Schwarzer (mit zusammengekniffenen Augen ins Halbdunkel starrend): "Wer sind Sie denn, Lieber?"

Stimme von ganz hinten: "Jörg Kachelmann ist mein Name!"

Kachelmann trägt Lässiglook: Jeansjacke, Schal, die Haare sagen Wind von Nordnordost voraus. Er adressiert den Saal, jovialer Tonfall, große Geste, es ist ein bisschen wie früher vor der "Tagesschau". Er sagt: "Meine Damen und Herren."

Das Publikum ist zu 70 Prozent weiblich, zu 80 Prozent studentisch und zu schätzungsweise 98 Prozent frauenbewegt. Es hat ihn, den Weatherman, im Affekt der Überraschung mit Jubel empfangen, empfindet ihn jetzt aber doch als Partycrasher.

Das Publikum buht.

Man muss Jörg Kachelmann nicht dringend mögen, um Folgendes zu konzedieren: Er hat 132 Tage in Untersuchungshaft verbracht, vor Gericht und der ganzen geilen Nation die Hosen runtergelassen, er verlor seinen Wetter-Vertrag mit der ARD, seine Firma Meteomedia und nahezu sein gesamtes Vermögen. Er wird diese Sache niemals wieder los.

Das Frankfurter Oberlandesgericht hat die Ex-Freundin im September 2016 zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt, der Vergewaltigungsvorwurf sei "vorsätzlich und wahrheitswidrig" gewesen. Ein gerichtliches statt eines persönlichen Urteils schleudert Kachelmann nun in Richtung Bühne: "Es gibt hier drin nur eine verurteilte Täterin", ruft er, "und die sitzt da vorne!" Eine Anspielung auf die Sache mit der Steuerhinterziehung.

Er wollte "in aller Entspanntheit" zuhören, sagt Kachelmann. Entspannt klingt er dabei nicht

Alice Schwarzer ist irritiert. Sie bittet um mehr Licht, damit sie Herrn Kachelmann sehen könne. Aber dann macht sie einfach weiter. Keine Replik, nicht ein einziges Wort an ihn. Es wirkt nicht wirklich souverän. Von hinten erhebt sich erneut eine Stimme: Johann Schwenn, Kachelmanns Anwalt. Er verteidigt die Gutachter von damals. Er ruft in den Saal: "Kein Angeklagter wird freigesprochen, weil sein Verteidiger schweinslederne Handschuhe trägt!"

Schwarzer lächelt. Sie hat sich nun gefangen und holt aus zum vernichtenden Schlag: "So tief sitzt das? So ein leidenschaftliches Ding ist das? Dass die Herren aus Hamburg und Zürich anreisen. Ich muss sagen, ich bin gerührt." Applaus, Gejohle. "Dabei komme ich gar nicht aus Zürich", meldet Kachelmann etwas hilflos auf Twitter. Und dann ist die Veranstaltung vorbei.

Er sei halt gerade in der Gegend gewesen, erzählt er hinterher auf dem Flur, und habe sich "in aller fröhlichen Entspanntheit" anhören wollen, ob die Dame wieder mal seine Persönlichkeitsrechte verletze. Der Hinweis auf das Frankfurter Urteil sei ihm wichtig gewesen. "Frau Schwarzer hat an der Zerstörung weiter Teile meines Lebens großen Anteil", sagt Jörg Kachelmann. Er klingt weder entspannt noch fröhlich.

Auf einem anderen Flur signiert Alice Schwarzer inzwischen Bücher. Sie sei müde, richtet eine Mitarbeiterin aus, und werde keine Fragen mehr zu Herrn Kachelmann beantworten.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2017/jana
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