Transplantation:Frau trifft Mann mit dem Gesicht ihres toten Bruders

MOST EXTENSIVE FULL FACE TRANSPLANT

So sah Richard Norris vor seiner Operation aus (links). Im Alter von 37 Jahren bekam er von den Ärzten ein neues Gesicht (rechts).

(Foto: AFP)

Joshua Aversano stirbt bei einem Unfall. Seine Organe und das Gesicht gibt die Familie zur Transplantation frei. Wie die Schwester des Toten beim ersten Treffen mit dem Empfänger reagiert.

Vor drei Jahren haben Angehörige aus Maryland das Gesicht eines verstorbenen Familienmitgliedes gespendet - für eine Transplantation. Jetzt hat die Schwester des Verstorbenen den Empfänger getroffen.

Die Vorgeschichten zu dem Treffen im US-Bundesstaat Virginia sind tragisch. Der heute 39-jährige Richard Norris hatte sich 1997 beim Hantieren mit einer Schrotflinte selbst verletzt. Bei dem Unfall im Wohnzimmer seiner Mutter hatte sich aus der Waffe ein Schuss gelöst. Der US-Amerikaner verlor Nase, Wangenknochen, Lippen, Zunge, Zähne, Kiefer und Kinn. Nur die Augen werden nicht verletzt.

Norris war damals 22 Jahre alt. Die Verletzungen und zahlreiche Rekonstruktionsoperationen hinterlassen nicht nur im Gesicht tiefe Narben. Er wird depressiv, denkt daran sich umzubringen. Er zieht sich ins ländliche Virginia zurück und geht nur noch nachts auf die Straße, weil er sich für sein Aussehen schämt.

Joshua Aversano kommt bei einem Unfall ums Leben

Joshua Aversano aus Maryland will über die Straße gehen, als er von einem Minivan erfasst und überfahren wird. Aversano, der Spender, stirbt 2012. Er ist zum Zeitpunkt seines Todes 21 Jahre alt.

Seine Familie entscheidet sich dafür, seinen Körper zur Transplantation freizugeben. Neben Richard Norris profitieren fünf weitere Menschen vom Tod Joshuas. Das Herz, die Lunge, Nieren, Bauchspeicheldrüse und Leber sollen in anderen Körpern weiterleben.

Die sechste Spende, das Gesicht, ist allerdings die Spektakulärste. Die Verpflanzung ist eine der komplexesten Transplantationen in der Medizingeschichte. Erst im Jahr 2005 war französischen Medizinern die erste Teiltranspation eines Gesichtes gelungen.

2012 wagt ein Chirurgenteam des University of Maryland Medical Centers die komplette Rekonstruktion. 36 Stunden lang arbeiteten die Ärzte an Richard Norris' Gesicht. Die Spezialisten verpflanzten nicht nur Haut, sondern auch Zungenmuskeln, Nerven, Zähne und Teile des Kiefers. Dabei haben die Ärzte dem Patienten vor der OP gerade mal eine 50-prozentige Überlebenschance zugesichert. Er nimmt das Risiko trotzdem in Kauf.

Aversanos Schwester erkennt ihren Bruder in Norris Zügen

Das emotionale Treffen zwischen dem Empfänger und der Schwester des Unfallopfers, Rebekah Aversano, findet drei Jahre nach der Operation statt. Es wird von der TV-Sendung 60 Minutes Australia begleitet. Beim Anblick von Richard Norris streckt die Schwester ihre Hand aus und fragt: "Darf ich dein Gesicht anfassen?" Nachdem sie zaghaft mit der Hand über das alte Gesicht ihres Bruders streicht, sagt sie: "Wow, das ist das Gesicht, mit dem ich aufgewachsen bin."

Auch die Mutter des Toten hat in einem Interview mit dem kanadischen Sender CTV News ihre Zufriedenheit über die Spende mitgeteilt. Sie könne in den Gesichtszügen von Norris tatsächlich ihren Sohn erkennen. Sie sei so froh, dass sie ihm mit der Transplantation habe helfen können.

Die Masken, die Richard Norris vor seiner Operation trug, um sein Aussehen zu verbergen, hat er inzwischen abgelegt. Darüber hinaus hat er eine Freundin gefunden. Dennoch hat die Transplantation sein Leben nicht nur leichter gemacht. Für immer wird er beispielsweise auf Sonnenbäder verzichten müssen. Täglich muss er einen Cocktail aus verschiedenen Medikamenten zu sich nehmen und auch die Gesichtsmuskeln machen ihm immer wieder Probleme. Rückschläge muss er einkalkulieren, denn sein Immunsystem wird das neue Gesicht immer als Fremdkörper betrachten, das haben ihm die Ärzte klargemacht.

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