Tragödie von Duisburg:Parade der Unschuld

Veranstalter, Stadt und Polizei schieben sich lauthals gegenseitig die Schuld an der Loveparade-Katastrophe mit 21 Toten zu. Dabei hätten alle Beteiligten Grund, sich zu entschuldigen. Und sollten dann einfach mal eines tun: schweigen.

Nicolas Richter

In Deutschland hat man das Recht zu schweigen. Man muss nichts sagen, wenn einen die Polizei verdächtigt, man muss sich nicht selbst belasten, man muss der Justiz nicht dabei helfen, dass sie einen verurteilt. Vielerorts auf der Welt ist das nicht selbstverständlich, dort wissen Ermittler oder deren Gehilfen, wie man Schweigen bricht.

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Stilles Gedenken am Ort der Tragödie: Über die Medien schieben sich Veranstalter und Organisatoren der Loveparade in Duisburg dagegen lauthals gegenseitig die Schuld zu.

(Foto: ddp)

Nichts sagen zu müssen also ist ein Geschenk; ein Privileg jener, die in Rechtsstaaten leben.

Fünf Wochen nach der tödlichen und damit letzten Loveparade wünscht man sich, dass die Verantwortlichen schweigen würden. Aber die Stadt Duisburg, der Veranstalter Rainer Schaller und die Regierung Nordrhein-Westfalens hören nicht auf, einander in der Endlosschleife die Schuld zuzuschieben.

Es klingt, als seien sie noch immer auf dem einst so schrillen Technofest, bei dem riesige Lautsprecherwagen immer im Kreis fuhren und das Publikum im Vorbeifahren mit ihren Beats beschallten. Seit dem Unglück kreisen nun Stadt, Veranstalter und Polizei um die öffentliche Meinung und hämmern ihr ein: Bin unschuldig! Hab' nichts falsch gemacht!

Erst stammelten sie es bei Pressekonferenzen, jetzt veröffentlichen sie "Dokumentarfilme" oder juristische Gutachten, die sie selbst bestellt haben. Im Ergebnis sind sie sich alle einig: Es gibt ein schreckliches Versagen zu beklagen - das der anderen.

Die Angehörigen der Toten erklären, sie seien angewidert - ein Gefühl, das sie mit den meisten Beobachtern teilen werden. Dass man sich mit einem Gutachten exkulpieren will, für das man selbst bezahlt hat, ist nichts anderes als Selbstgerechtigkeit, die unbeholfen mit etwas verwaltungsrechtlichem Fachjargon geschmückt wurde.

Wenn die Stadt Duisburg ihre Abhandlung auch noch "Abschlussbericht" nennt, klingt das, als verfüge ein Krimineller, Ermittlungen gegen sich selbst einzustellen. Es gibt Länder, wo Beamte so etwas tun, diese Länder liegen aber nicht in Westeuropa. In Deutschland funktioniert solch ein Schwindel nicht, und für die Familien der Opfer ist er eine Zumutung.

Insofern wäre es sehr wichtig, dass die Beteiligten endlich damit aufhören, womit allerdings nicht zu rechnen ist. Denn das Schauspiel der Selbstentlastung folgt beinahe zwangsläufig aus den Aufwallungen der Mediengesellschaft, die auch bei nichtigem Anlass schon um Fassung ringt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum alle Beteiligten Grund hätten, sich zu entschuldigen.

Jeder bekommt seine Bühne

Jeder, der das Unglück schon immer kommen sah und jetzt harte Konsequenzen fordert, bekommt eine Bühne. Die mutmaßlich Schuldigen werden von Politikern, Experten und Journalisten oft ungeduldig und unerbittlich vorgeführt.

Der Veranstalter Schaller, Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland und die leitenden Polizisten sind noch nicht einmal Beschuldigte im strafrechtlichen Sinne, und falls sie eines Tages verurteilt werden sollten, so würden sie doch vorher angehört.

Unanständige Rechtfertigungsversuche

Die Öffentlichkeit fällt ihre Urteile dagegen viel schneller. Sie hat die Beteiligten vor sich hergetrieben und wird dies noch lange tun. Die Öffentlichkeit kann grausam sein, und ihre Strafe kann mehr weh tun als selbst die des Strafrichters, wenn er Haft auf Bewährung verhängt. Im Prinzip also ist es legitim, wenn sich die Gescholtenen zumindest um Gehör bemühen.

Allerdings ist es auch im chronisch überhitzten Medienbetrieb möglich, Vorwürfen oder Anfeindungen mit Würde entgegenzutreten, ohne dass insbesondere die Familien der Toten dies als unanständig empfinden müssen.

Die Stadt, der Veranstalter und die Polizei hatten, jeder auf unterschiedliche Weise, eine Verantwortung für die Loveparade in Duisburg. Die Stadt hätte die Veranstaltung nie genehmigen dürfen, das erkennt jeder, der die improvisierte Partymeile sieht. Der Veranstalter wiederum hat sich übernommen, er ist daran gescheitert, die Menschenmassen zu steuern. Und die Polizei war spätestens zuständig, als sich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit anbahnte, hat dann aber wohl nicht angemessen reagiert.

Alle Beteiligten hätten also Gründe, sich zu entschuldigen; wer, wie Sauerland, politisch verantwortlich ist, sollte zurücktreten. Alle Beteiligten haben ferner das Recht, sich zu verteidigen, was nicht bedeutet, die Schuld als Ganzes bei den anderen zu entsorgen. Alle Beteiligten handeln im Sinne der Transparenz, wenn sie Dokumente veröffentlichen, sie sollten diese aber nicht als reinen Beweis der eigenen Unschuld anpreisen.

Ansonsten sollten alle Beteiligten einfach mal schweigen: In dieser Woche zum Beispiel wäre die Loveparade ein relativ kleines Thema geblieben, hätte jeder seine sogenannten Gutachten für sich behalten.

Wer Antworten sucht, mag es unerträglich finden, auf die Justiz zu warten, aber für die Wahrheitssuche gibt es nun mal meist keine bessere Instanz. Die Staatsanwaltschaft wird die Kette von Ereignissen, Fehlern und Missverständnissen rekonstruieren müssen; nur sie kann jetzt alle Facetten überblicken.

Vielleicht wird ein Gericht dann irgendwann Schuldige ermitteln. Auf keinen Fall aber können die Beschuldigten sich heute selbst freisprechen oder andere verurteilen.

Der Veranstalter Schaller hat jetzt, immerhin, seinen Talkshow-Auftritt bei Kerner abgesagt. Das ist weder Feigheit noch ist es ein Geständnis. Es kann das sein, was man bisher vermisste: berechtigter Selbstschutz und Pietät.

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