Warum lassen sich Panik und Staus nicht wirklich vorhersagen?
Forscher, das liegt in der Natur ihrer Arbeit, wollen bestimmte Phänomene verstehen und wenn möglich Vorhersagen machen. Dafür entwickeln sie Modelle - Modelle des Klimas, des Wetters, von Aktienkursen oder auch Staus, die sie dann im Computer berechnen. Michael Schreckenberg, der Duisburger Stau- und Panikforscher, hatte vor der Loveparade Simulationen über das Verhalten der Menschenmengen gemacht, die durch den Tunnel strömen würden. Nach dem Desaster musste er zugeben, dass er wohl nicht alle Aspekte bedacht hatte. Wenn er von "Einzelpersonen, die Gewagtes beginnen", oder von "Menschen, die auch eine gewisse Mitschuld tragen", spricht, klingt das erst einmal zynisch. Es trifft aber den Kern des Problems solcher Modelle und Vorhersagen.
Denn bei Staus und Menschenmengen hat man es mit zwei prinzipiellen Schwierigkeiten zu tun. Zum einen handelt es sich um "nichtlineare Systeme". Das bedeutet, dass auch sehr kleine Ursachen enorm große Wirkungen haben können. Im Extremfall verhalten sich solche Systeme "chaotisch", was bedeutet, dass sich ihr Verhalten im Grunde gar nicht vorhersagen lässt. Schon ganz simple Systeme wie ein Pendel, das unregelmäßig angestoßen wird, verhalten sich chaotisch.
Zum anderen bestehen alle Ansammlungen von Menschen, ob sie im Auto sitzen oder zu einer Loveparade gehen, aus Individuen. Anders als die Atome in einem Gas folgen Menschen nicht festgelegten physikalischen Gesetzen. Sie klettern, wie in Duisburg geschehen, auf Zäune oder Treppen oder machen etwas anderes Überraschendes - und die Vorhersage ist obsolet. Man mag Menschenmengen mit Modellen beschreiben, mag sie simulieren - doch wie sie sich letztlich verhalten, lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen. "Allenfalls Wahrscheinlichkeiten lassen sich berechnen", sagt Theo Geisel, Direktor am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Weil man bei solchen Systemen wie Staus nie die genauen Anfangsbedingungen und die Parameter kenne, die einen Einfluss haben, sei eine Vorhersage immer nur ungenau, sagt der Spezialist für Chaostheorie.
Und so bleibt alles, was Theoretische Physiker wie Michael Schreckenberg jetzt sagen, vor allem eins: sehr theoretisch.