Süddeutsche Zeitung

Traditionspflege:Reggae, Country, Jouloululu

In der Schweiz sind die Jodelkurse ausgebucht, weil Großstädter und Ausländer den volkstümlichen Gesang zum Trend erhoben haben.

Judith Raupp

Monika Krapf runzelt die Stirn. Dann fragt sie: "Verstehen alle Schweizerdeutsch?" Die Hobby-Gesanglehrerin forscht nicht umsonst nach den Kenntnissen der Landessprache. Denn sie unterrichtet an diesem Tag Ausländer und Großstädter in Zürich in der Disziplin des Jodelns. Das ist für die grauhaarige Dame, die normalerweise als Sekretärin im Pfarramt arbeitet, etwas ungewohnt.

In ihrer Freizeit bringt Krapf meistens Jugendlichen auf den Dörfern das Jodeln bei. Bis vor kurzem haben sich fast nur Schweizer, die auf dem Land leben, für diese Art der Volksmusik interessiert. Die meisten Städter fanden Jodeln nach Auskunft von Monika Krapf einfach nur rückständig, bestenfalls gut genug für spöttische Bemerkungen.

Das ging auch der 25 Jahre alten Brandy aus Philadelphia so. Sie arbeitete in einem Schallplattenladen in den Vereinigten Staaten, als sie zum ersten Mal "diese eigenartige Musik" hörte: "Ich musste laut lachen. " Aber heute, versichert sie, finde sie Jodeln richtig cool".

Jodeln sei ein Stück schweizerische Kultur. "Es ist wichtig, dieses Brauchtum zu erhalten", glaubt die Amerikanerin. Dabei sieht die junge schwarze Frau nicht so aus, wie man sich eine traditionsbewusste Jodelschülerin vorstellen würde. Sie trägt einen Minirock aus Jeansstoff, bauchfreies T-Shirt, schwarze Schlappen und einen Nasenring. Ihr Haar wirbelt in Korkenzieherlocken um den Kopf. Die Zehennägel sind knallrot lackiert.

Brandy ist vor zwei Jahren als Aupairmädchen nach Zürich gekommen. Meistens hört sie Jazz oder Reggae. Gelegentlich singt sie in einer Schweizer Popgruppe mit. Vor kurzem kam der Bandleader auf die Idee, Volksmusik zu spielen, ganz dem Trend in den Städten folgend. Das habe sie " angestachelt ", sagt Brandy.

Ausgebuchte Kurse

Es existiert zwar keine Statistik über die jodelfreudigen Städter. Aber Kurse, die früher mangels Interesse gar nicht erst zustande kamen, sind inzwischen völlig ausgebucht. Musikschulen und Bildungseinrichtungen nehmen immer mehr Unterrichtsstunden ins Programm. Selbst Jodeln in der Mittagspause für Berufstätige gibt es. Seit einiger Zeit bietet sogar die " Migros Klubschule " den volkstümlichen Unterricht an. Das Bildungsprogramm d ies er Supermarktkette hat in der Schweiz Kultstatus. Wenn die Klubschule Jodeln unterrichtet, ist es auch zum Volkssport nicht mehr weit.

"Für mich ist das ein Stück Heimatverbundenheit", erklärt Christoph. Der 33 Jahre alte Bauingenieur hat seine Liebe zur Schweiz neu entdeckt. Früher hat er ausschließlich britische Country-Musik gehört. Irgendwann hat er gemerkt, "dass wir ja selbst total schöne Volksmusik haben".

Er ist neben den sieben Frauen im Jodelkurs der einzige Mann. Das ist oft so. Frauen fällt das Jodeln leichter, weil sie einfacher in die hohen Tonlagen vordringen, die Voraussetzung für das Jodeln sind. Allerdings singen bei Konzerten meistens die Männer das Jodelsolo. "Das ist halt noch so von früher", sagt Krapf und zwinkert mit den Augen.

Das "i" ist verpönt

Der typische Schweizer Jodel besteht aus den Vokalen " o " und " u " : Jouloululu. Das " i " ist bei den Eidgenossen verpönt. Die landestypischen Eigenarten sind historisch gewachsen, etwa so wie die Dialekte. Früher haben sich die Menschen im Alpenraum mit Hilfe des Jodelns verständigt. Die Schweizer haben ursprünglich kein " i " in ihren Gesängen benutzt. Später wollten sie sich dann bewusst von anderen Alpenregionen in Österreich, Italien und Bayern - ebenfalls Hochburgen des Jodelns - abgrenzen. Und die Schweizer achteten mit äußerster Strenge darauf, dass sich die Originaljodler an die Gepflogenheit hielten.

Christoph findet Jodeln angesichts der strengen Vorschriften eher schwierig : "Ich müsste ganz schön viel üben, um das richtig hinzubekommen." Seine Frau ist bei der Country -M usik geblieben. "Zu Hause und wenn wir gemeinsam Auto fahren, darf ich keine Jodelmusik hören", gesteht er - und wird wohl wie so viele Städter ein Gelegenheitsjodler bleiben, weil die nötige Zeit und der Elan zum Üben fehlen.

Bodenständige Werbung

Sehr zum Ärger von Annalies Studer vom Eidgenössischen Jodler-Verband. Studer freut sich zwar über den wachsenden Zuspruch , den das Brauchtum in der Stadt erlebt, " aber die meisten Leute sind nicht bereit, in einen Verein einzutreten und die Tradition zu pflegen", kritisiert sie. Der Dachverband der Jodler hat nur 20.000 Mitglieder. Langsam entdecken zwar wieder die jüngeren Leute, dass Volksmusik Spaß machen kann. Doch der Zulauf zum Jodler-Verband ist gering, die Mitgliederzahl stagniert.

Noch dazu falle die finanzielle Unterstützung vom Staat viel zu gering aus, findet Studer: "Je nach Sparzwang des Bundes bekommen wir 20.000 bis 40.000 Franken pro Jahr. Das aber ist nur ein Bruchteil der öffentlichen Kulturförderung. Das landeseigene Brauchtum konkurriert mit anderen kulturellen Projekten um das öffentliche Geld. Bibliotheken, alternative Filme, Ausstellungen, Musik aus fernen Ländern - der Staat versucht vielen gerecht zu werden, doch selbst in der reichen Schweiz wird gespart . "Die Behörden setzen ihre Prioritäten falsch", findet Studer. Es werde zu viel Geld für "Multikulti" und zu wenig für die eigene Kultur ausgegeben.

Monika Krapf hat mit "Multikulti" keine Probleme. Dass es in den Städten viele Kulturangebote aus verschiedenen Ländern gibt, fördere die Popularität des Jodelns sogar, meint sie. Sie ist davon überzeugt, dass Menschen angesichts der unüberschaubaren Freizeitangebote zunehmend nach Halt suchen. "Da besinnen sie sich wieder auf das Bodenständige", sagt Krapf. Und es gebe nun mal nichts Bodenständigeres als das Jodeln.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2005
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