Süddeutsche Zeitung

Tourismus in Österreich:Verschleiert im Paradies

  • In Österreich gilt seit Oktober 2017 ein Gesetz, das es verbietet, einen Gesichtsschleier in der Öffentlichkeit zu tragen.
  • Die Regelung trifft vor allem Touristinnen, zurückgegangen ist die Zahl der Urlauber deswegen aber nicht.
  • Bei Verstoß müssen die Betroffenen maximal 150 Euro Strafe zahlen, theoretisch wäre auch eine Festnahme möglich.

Von Melanie Raidl

Es ist warm, und es ist voll. Auf der Seepromenade von Zell am See tummeln sich Läufer, Radfahrer, Motorradfahrer und eine Menge Touristen. Jede Bank ist besetzt, am Bootsverleih hat sich eine lange Schlange gebildet. Die Zuweiserin rennt zwischen den Bootsstegen hin und her, bald ist Sperrstunde. "Sorry, no boats anymore today!", ruft sie. Zwei junge Frauen in langen schwarzen Gewändern posieren für ein Selfie vor dem See, im Hintergrund die Hohen Tauern. Eine weitere Frau stellt sich dazu, sie trägt einen Hijab, ein Kopftuch, in hellem Rosa. Sie sind drei von vielen Gästen aus den arabischen Golfstaaten, die jedes Jahr in das 10 000-Einwohner-Städtchen im Pinzgau reisen.

Seit fast zwei Jahrzehnten ist Zell am See eines der beliebtesten Reiseziele für Touristen aus Saudi-Arabien, Oman, Kuwait oder den Emiraten. Zusammen machen sie mehr als ein Viertel der Urlaubsgäste aus. Was sie an den Zeller See führt? Es ist der Kontrast zur Heimat, sagen viele. Die Kombination von Wasser, umgeben von weißen Bergen, ähnle im Koran einer Stelle, die das Paradies beschreibt. Doch neuerdings gibt es Ärger im Paradies.

Zumindest für Touristinnen, die in Zell am See den Niqab, einen Gesichtsschleier, anbehalten wollen. Denn im Oktober vergangenen Jahres hat Österreich das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz eingeführt. Ursprünglich als Teil eines Integrationsgesetzes konzipiert, trifft es in dem Urlaubsort vorrangig Touristinnen, die meist nur ein paar Nächte bleiben. "Ich habe einige Bekannte, die deswegen nicht mehr kommen", sagt eine junge Kuwaiterin, die selbst einen Khimar, das mantelartige Kopftuch, an der Seepromenade trägt. "Vielen von uns ist der Niqab persönlich sehr wichtig." Wie sie selbst kamen in der nun endenden Urlaubssaison 2018 aber immer noch viele Frauen, die ihr Gesicht verhüllen, nach Zell am See.

Zurückgegangen ist die Zahl arabischer Gäste durch das neue Gesetz in diesem Sommer nicht. Die Statistik des Tourismusverbandes Zell am See zeigt sogar einen deutlichen Zuwachs an Übernachtungen in den Monaten Mai bis Juli. Während Touristen aus arabischen Staaten 2014 zusammen etwa 15 Prozent ausmachten, waren es dieses Jahr fast 27 Prozent. Im Vergleich zu 2017 stieg der Anteil sogar um 45 Prozent.

Das macht es für Kurt Möschl nicht unbedingt leichter, seinen Job zu erledigen. Der Polizeichef der Stadt stößt bei den Gästen oft auf Unverständnis, wenn er versucht, das neue Gesetz anzuwenden. "Wir haben seit Juni 200 Frauen mit Gesichtsschleier getroffen", sagt Möschl. Die Polizisten sprechen die Touristinnen an, geben ihnen eine Infobroschüre in die Hand und erklären, dass in Österreich in der Öffentlichkeit niemand sein Gesicht verdecken darf. Meistens willigten die Frauen ein, ihren Niqab abzunehmen. Mitunter aber komme es vor, dass jemand den Schleier nach der Abmahnung wieder aufsetzt. "Dafür kassieren wir dann 30 Euro", sagt der Polizeichef.

"Manche hätten am liebsten, dass wir den Damen sofort die Burka wegreißen"

Kürzlich sei es zu einer unangenehmen Situation gekommen, als eine arabische Frau ihren Schleier um keinen Preis abnehmen wollte. Sie bekam eine Anzeige, musste 150 Euro zahlen, die höchste Geldstrafe für diese Art von Delikt. Theoretisch wäre sogar eine Festnahme möglich. Und selbst wenn sich die Beamten manchmal unbehaglich dabei fühlen: "Wenn wir in Uniform durch die Stadt laufen, dürfen wir nicht wegsehen", sagt Möschl. Denn da sind ja auch noch die Einheimischen, von denen einige ganz genau hinschauen. Bei ihnen sei die Erwartungshaltung gegenüber der Polizei groß. Immer wieder erreichen Möschl Anrufe besorgter Bürger, die eine verschleierte Frau sehen und diese anzeigen wollen. "Manche hätten am liebsten, dass wir den Damen sofort die Burka wegreißen." Andere wiederum würden sich fragen, ob die Polizei denn sonst nichts zu tun habe.

In Erinnerung ist dem Polizeichef vor allem ein Gast aus Norwegen geblieben. Der hatte während seines Urlaubs in Zell am See jeden Tag eine E-Mail an die Polizeiinspektion verfasst - mit Fotos von verschleierten Frauen, ergänzt mit Ortsangabe und dem Kommentar: "Do your job". Möschl nimmt solche Schreiben zur Kenntnis, mehr aber auch nicht: "So etwas ignorieren wir natürlich."

Als die Sonne bereits untergeht, schlendert ein junges Paar aus Saudi-Arabien an der Seepromenade entlang. "Ich bin selbst sehr liberal und trage den Niqab nicht", sagt die Frau. Deshalb sei ihr das Gesetz egal. Auf einer Grünfläche hinter einer Parkbank sitzt eine Familie mit zwei Töchtern im Gras. Die Frau möchte sich nicht dazu äußern. "Wir respektieren das Gesetz, für uns ist das in Ordnung", sagt ihr Ehemann. "In Saudi-Arabien ist es vielleicht auch bald so weit. Die wollen die Bekleidungsvorschriften lockern", sagt er. In Saudi-Arabien müssen Frauen weder Gesicht noch Haare verhüllen, aber ihren Körper mit einem Umhang; das könnte bald geändert werden. Dann hätte Saudi-Arabien keine Bekleidungsvorschriften für Frauen mehr - im Gegensatz zu Österreich.

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SZ vom 05.09.2018/eca/odg
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