Tote Journalistin:"Monströse Informationen" über Bulgarien

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Ein 20-Jähriger wurde für den Mord an der bulgarischen Fernsehjournalistin Viktoria Marinowa zu 30 Jahren Haft verurteilt. (Foto: Filip Dvorski/AP)

Eine Journalistin, die zuvor einen Studiogast zum Thema Korruption interviewte, wird beim Joggen brutal getötet. Doch nach der Festnahme eines Verdächtigen sind die Behörden überzeugt: Viktoria Marinowas Tod hatte nichts mit ihrer Arbeit zu tun.

Von Florian Hassel, Warschau und Ralf Wiegand, Celle

Am Ende waren keine vier Tage verstrichen, bis die bulgarische Regierung bekannt gab, der aufsehenerregende Mord an der Fernsehjournalistin Viktoria Marinowa sei aufgeklärt. Der 20 Jahre alte Sewerin Nadjeschdow K. sei "des vorsätzlichen Mordes und der Vergewaltigung" verdächtig, mit Europäischem Haftbefehl gesucht und am Dienstagabend von der deutschen Polizei in Stade bei Hamburg festgenommen worden, erklärten der bulgarische Innenminister, der Generalstaatsanwalt und der Ministerpräsident bei einem gemeinsamen Auftritt in Sofia.

Marinowa war am Samstag in der bulgarischen Stadt Ruse beim Joggen überfallen, vergewaltigt und schließlich getötet worden. Weil sie zuletzt in ihrer Sendung Investigativjournalisten zu Gast hatte, die über Korruption recherchierten, wurde das Verbrechen in eine Reihe mit den jüngsten Journalistenmorden in Europa gestellt: In Malta ist die Bloggerin Daphne Caruana Galizia im vergangenen Jahr durch eine Autobombe getötet worden, in der Slowakei wurden wenige Monate später der Journalist Ján Kuciak und dessen Verlobte Martina Kusnirová erschossen. Und jetzt Viktoria Marinowa - riskieren auch in Bulgarien mutige Journalisten ihr Leben? In ihrer letzten Sendung am 30. September hatte Marinowa über offenbar massiven Betrug mit EU-Subventionen berichtet. In entsprechend prominenter Besetzung trat die unter Druck geratene bulgarische Führung am Mittwoch, nach dem Fahndungserfolg in Deutschland, vor die Presse. Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissow sagte: "Drei Tage lang habe ich monströse Informationen über Bulgarien gelesen, und nichts davon war wahr." Innenminister Mladen Marinow zufolge sei Sewerin K. 1997 in Ruse geboren und habe in der Nähe des Tatortes gewohnt. Die Vergewaltigung und Ermordung Marinowas sei, wie Generalstaatsanwalt Sotir Zazarow sagte, "eine spontane Attacke und so brutal, dass sie die aggressive Einstellung des Angreifers zeigte". Der Verdächtige gehe regelmäßig boxen, er habe vor dem Mord viel Alkohol getrunken. K. habe Marinowa, die in der Nähe seiner Wohnung joggen war, so massiv geschlagen, dass diese vor ihrem Tod zwei ernsthafte Gehirnschäden davongetragen habe; ihre Nase sei gebrochen gewesen. Zazarow zufolge "gibt es volle Übereinstimmung zwischen dem DNA-Profil des Festgenommenen und der DNA, die auf der Kleidung des Opfers gefunden wurde". Außerdem "wurde die DNA des Opfers auf Kleidung des Festgenommenen in seiner Wohnung in Bulgarien gefunden". Augenzeugen gebe es bisher nicht. Bulgariens Innenminister sprach im Parlament von Videomaterial, das vorliege. Ein Fernsehsender berichtete, auch das Handy der Journalistin sei in K.s Wohnung gefunden worden. K. war zu diesem Zeitpunkt bereits geflohen. Generalstaatsanwalt Zazarow zufolge setzte sich Sewerin K. am Sonntagnachmittag über die Donau nach Rumänien ab und floh von dort aus weiter nach Deutschland.

Woher aber wussten die bulgarischen Behörden, wo K. zu suchen ist? Der Fernsehsender Nova interviewte am Dienstagabend mehrere Nachbarn K.s, der in einem winzigen Reihenhaus im vorwiegend von Roma bewohnten Armenviertel in der Nähe der Donau-Promenade von Ruse lebte. Die Nachbarn sagten, K. habe kein Geheimnis daraus gemacht, dass er fliehen müsse - seine Mutter lebe in Stade. Dies bestätigte Bulgariens Innenminister am Mittwoch im Parlament in Sofia.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sagte am Mittwoch, dass ein Mobiles Einsatzkommando des niedersächsischen Landeskriminalamtes und der Polizei Lüneburg K. in Stade "in der Wohnung von Familienangehörigen festgenommen" habe. Bei einer Anhörung vor dem Amtsgericht Stade stimmte K. der vereinfachten Auslieferung an Bulgarien zu, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Celle. An diesem Donnerstag will das Oberlandesgericht Celle entscheiden, ob K. bis zur Auslieferung in Haft kommt. Die Überstellung an die bulgarische Justiz dürfte danach binnen weniger Tage erfolgen.

Bulgariens Ministerpräsident Borissow bedankte sich bei den Ermittlern und den deutschen Behörden - und klagte über die angeblich ungerechte Behandlung Bulgariens seit Bekanntwerden des Mordes, die Spekulationen über einen politischen Mord. Von Anfang an sei klar gewesen, dass der Mörder DNA-Spuren hinterlassen habe, doch ein Auftragsmörder "hinterlässt keine Spuren". Assen Jordanow, der Direktor des Investigativdienstes Bivol, mit dem Marinowa vor ihrem Tod zusammengearbeitet hatte, begrüßte die "gute Nachricht" über Verdacht und Festnahme. "Für endgültige Schlussfolgerungen ist es zu früh. Ich hoffe, dass K. von deutschen Ermittlern vor einer Auslieferung gründlich verhört wird." Etliche Bulgaren sehen Ermittlungsergebnisse ihrer Justiz skeptisch. Dies weiß offenbar auch der Regierungschef. Borissow erklärte, vor der Entscheidung über die Auslieferung durch ein deutsches Gericht "werden wir die gesamte DNA-Information sowohl des Verdächtigen wie des Opfers zur Verfügung stellen". Doch dem Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Celle zufolge könnten deutsche Ermittler auf Wunsch Bulgariens zwar neue Beweise erheben, aber keine bereits in Bulgarien erfassten Beweise hier überprüfen. Viktoria Marinowas Ex-Ehemann Swilen Maximow gehört der Fernsehsender TVN, bei dem sie als Moderatorin und Verwaltungsdirektorin arbeitete. Er erklärte im Fernsehsender Nova, er habe Samstagfrüh zuletzt mit ihr gesprochen. Am Nachmittag habe ihn seine Mutter angerufen, weil Viktoria die gemeinsame Tochter nicht abgeholt habe. Danach hätten sie sich auf die Suche gemacht. Maximow, der nach eigener Aussage zunächst selbst verdächtigt wurde, zeigte sich zufrieden mit der Arbeit der Ermittler. "Alle Indizien deuten auf einen absurden, schrecklichen Zufall hin. Es sieht nicht wie ein professioneller Mord aus, was mir ein bisschen Trost gibt." Die Anteilnahme nach dem gewaltsamen Tod seiner ehemaligen Frau habe ihn berührt. "Ich wünschte, der Staat und die Menschen würden bei jedem Menschen in Not eine solche Reaktion zeigen - dann könnten wir uns einen Staat nennen", sagte Maximow.

© SZ vom 11.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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