19 Tote auf der Loveparade: Schuldfrage:"Geltungssucht, Profitsucht und Amateurismus"

Ein fadenscheiniges Sicherheitskonzept, Überschätzung und Ignoranz: Nach der Tragödie auf der Loveparade in Duisburg stehen Veranstalter und Stadt unter Beschuss. Sogar von einem "Verbrechen" ist die Rede.

Nach der Tragödie auf der Duisburger Loveparade mit 19 Toten gerät zunehmend das Sicherheitskonzept der Veranstalter in die Kritik. Ein internes Verwaltungsdokument aus Duisburg belegt nach Informationen von Spiegel online eklatante Sicherheitslücken.

At Least 15 Die After Stampede At Love Parade

Trauriges Ende der großen Partysause: 20 Menschen starben bei einer Massenpanik auf der Loveparade in Duisburg. Wer die Schuld an der Tragödie trägt, ist noch unklar.

(Foto: Getty Images)

So habe der Veranstalter nicht die sonst vorgeschriebene Breite der Fluchtwege einhalten müssen. Zugleich sei das Gelände ausdrücklich nur für 250.000 Menschen zugelassen gewesen. Am Veranstaltungstag drängten aber 1,4 Millionen Menschen auf das Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs.

Der Leiter des Krisenstabs, Wolfgang Rabe, sagte, die abgeschlossene Partyzone sei für rund 300.000 Feiernde ausgelegt gewesen. Der Platz sei zum Zeitpunkt des Unglücks nicht vollständig gefüllt gewesen.

Sparmaßnahmen zu Lasten der Sicherheit

Das von Spiegel online zitierte Schriftstück vom 21. Juli 2010 mit dem Aktenzeichen 62-34-WL-2010-0026 trägt den Titel "Genehmigung einer vorübergehenden Nutzungsänderung". Es richtet sich an die Berliner Lopavent GmbH als Veranstalter der Loveparade. Der Sachbearbeiter der Unteren Bauaufsicht im Duisburger Amt für Baurecht und Bauberatung befreit darin die Organisatoren von der Vorschrift, die vorgeschriebenen Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen. Außerdem verzichten die Beamten auf Feuerwehrpläne.

Schwere Vorwürfe gegen die Ausrichter der Massenparty erhebt auch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Er hält es für wahrscheinlich, dass die Veranstalter und die Stadt Duisburg auf Kosten der Sicherheit bei der Loveparade sparten. "Darauf gibt es Hinweise. Dafür spricht zum Beispiel, dass es keine Videoüberwachung vor Ort gegeben hat, die eine schnelle Reaktion möglich gemacht hätte", sagte Wendt in den ARD-Tagesthemen.

Der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sagte Wendt, er habe schon vor einem Jahr gewarnt, dass die Stadt zu eng sei für eine derartige Großveranstaltung. "So was kann man in Berlin machen, wo es breite Straßen und große Plätze gibt, aber nicht bei der engen Bebauung in Duisburg."

Die Stadt habe sich übernommen und einiges deute daraufhin, dass die Veranstalter sich über Bedenken hinweggesetzt hätten. "Die Stadt Bochum hat solche Einwände ernster genommen und die Loveparade 2009 abgesagt. Daran hätte sich Duisburg ein Beispiel nehmen sollen", sagte Wendt dem Blatt.

2009 sollte die Loveparade in Bochum stattfinden - und wurde abgesagt: Lesen Sie auf der nächsten Seite, was der ehemalige Polizeipräsident von Bochum zum Unglück in Duisburg sagt.

"Das war ein Verbrechen"

Deutschlands führender Konzertveranstalter Marek Lieberberg warf den Duisburger Organisatoren Profitgier und Unvermögen vor. "Das ist kein tragisches Unglück, sondern ein Verbrechen", sagte Lieberberg der Süddeutschen Zeitung. Die Veranstalter seien der Technoparty mit Hunderttausenden Teilnehmern nicht gewachsen gewesen. "Befruchtet haben sich die Geltungssucht der Lokalpolitik, die Profitsucht der Veranstalter, auf beiden Seiten gut gedüngt durch totalen Amateurismus." Lieberberg organisiert unter anderem das Musikfestival Rock am Ring.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat indes betont, Behörden dürften sich von Veranstaltern niemals mit dem Argument unter Druck setzen lassen, wie bedeutend eine Veranstaltung sei und wie viele Menschen diese anziehe. "Die Sicherheit muss immer Vorrang haben", sagte er im Deutschlandradio Kultur.

Herrmann forderte, die Sicherheitskonzepte aller Großveranstaltungen deutschlandweit zu prüfen. Es könne immer zu einer Massenpanik der Besucher kommen, dies müsse vom Veranstalter einkalkuliert werden, sagte er. Besonders gefährdet seien Veranstaltungen, die nur ein Mal stattfänden, so der Innenminister. Beim Bau von Fußballstadien etwa werde die Sicherheit von vornherein einkalkuliert. Auf einem Gelände, auf dem einmalig eine Veranstaltung stattfinde, könne dies nicht in dieser Perfektion geschehen.

"Ich zeige den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg an"

Im Mittelpunkt der Kritik steht die Duisburger Stadtführung um Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU). Bochums früherer Polizeipräsident Thomas Wenner (62) will den Duisburger Stadtoberen anzeigen. Der Onlineausgabe der Bild-Zeitung sagte Wenner: "Ich zeige den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, die leitenden Beamten der Stadt und die Veranstalter an." Eine solche Veranstaltung sei in Duisburg nie realisierbar gewesen.

Wenner hatte 2009 als amtierender Polizeipräsident die für Bochum geplante Loveparade abgesagt. Die tatsächliche Zahl der Teilnehmer der Megaparty in Duisburg ist nach wie vor unklar: Sie reicht von 105.000 Menschen, die mit der Bahn zum Feiern reisten, bis hin zu 1,4 Millionen Ravern, die sich in der Stadt aufgehalten haben sollen.

Die Staatsanwaltschaft setzt unterdessen ihre Ermittlungen fort. Zeugenaussagen und beschlagnahmte Unterlagen sollen klären, ob das Sicherheitskonzept letztlich ausreichend war. Bereits vor der Technoparty hatte es unter anderem auch aus dem Netz konkrete Warnungen vor einer Katastrophe gegeben.

Bei der Massenpanik am frühen Samstagabend starben 11 Frauen und 8 Männer. Die Opfer waren zwischen 18 und 38 Jahre alt.

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