Um 14:45 Uhr (21:45 Uhr MEZ) schrillen die Sirenen in Moore. Die Warnsignale aus 36 Lautsprechern an Straßen und öffentlichen Plätzen sollen die Bevölkerung rechtzeitig über herannahende Stürme informieren. Das Alarmsignal fordert die Bürger auf, Radio oder Fernsehen für nähere Informationen einzuschalten und sich in Sicherheit zu bringen. Den Einwohnern von Moore bleiben nur 16 Minuten. Dann trifft der Tornado die Kleinstadt vor den Toren von Oklahoma City mit voller Wucht.
Der Tornado kam nicht überraschend. Seine Wucht schon. Doch dass in der Gegend zurzeit ein erhöhtes Risiko für solche Wirbelstürme besteht, ist bekannt. Zum einen gehört der US-Bundesstaat Oklahoma gemeinsam mit Texas, Kansas, Missouri, Nebraska und South Dakota zur sogenannten tornado alley (Tornado-Gasse). Hier gibt es jedes Jahr von April bis Mai besonders viele Tornados.
Zum anderen war es im Süden und Mittleren Westen der USA schon am Sonntag zu etlichen solchen Stürmen gekommen. Demnach war klar, dass die meteorologischen Bedingungen in der Region gegenwärtig die Voraussetzungen für Tornados erfüllen: Kalte Luft, die über den Rocky Mountains im Westen ihre Feuchtigkeit abgegeben hat, strömt in großer Höhe nach Osten Richtung Great Plains. Zugleich zieht warme, feuchte Luft vom südlich gelegenen Golf von Mexiko nach Norden, so können sich Gewitterwolken (Cumulonimbus) bilden.
Sind die Luftwirbel stark genug, kann aus den Gewitterwolken ein sogenannter Tornado-Rüssel in Richtung Erde wachsen. Ein solcher Schlauch kann am Boden (touch down) mehrere Hundert Meter Durchmesser aufweisen und Windgeschwindigkeiten von mehreren Hundert Kilometern pro Stunde erreichen. Aufgrund des darin herrschenden Unterdrucks reißt er alles, was ihm nicht widerstehen kann, in die Höhe.
Warum konnte die Bevölkerung von Moore nicht früher gewarnt werden? Die Technik für Wetterprognosen ist heute ausgefeilter denn je: Mit Hilfe von Radargeräten identifizieren Meteorologen Gewitterwolken, in denen die Luftmassen rotieren. Doch nicht jede dieser Bewegungen entwickelt sich tatsächlich zu einem Tornado. Und geschieht dies doch, kann es sehr schnell gehen. Deshalb stützen sich die Fachleute auch auf Informationen von ehrenamtlichen Beobachtern aus den gefährdeten Gemeinden, die die Gewitterwolken direkt im Auge behalten. Diese sogenannte Spotter stehen über das Netzwerk Skywarn miteinander und mit den Behörden in Verbindung. Dazu kommen die Sturmjäger ( storm chasers), die aus persönlichem Interesse versuchen, die Entstehung von Twistern zu beobachten und ihre Beobachtungen ebenfalls melden.
Tornado in den USA:Nur 16 Minuten, um Schutz zu suchen
Die Vorwarnzeit war so kurz, dass die Menschen in Oklahoma nur wenige Minuten Zeit hatten, um sich in Sicherheit zu bringen. Dann kam der Tornado mit voller Wucht. Jetzt bleiben den betroffenen Menschen in dem US-Bundesstaat nur Schutt und Entsetzen.
Der 176-Seiten starke Notfallplan für die Stadt Moore (PDF) wurde 2012 zuletzt überarbeitet. Neben Warnungen über Medienkanäle wie Radio, Fernsehen oder Social Media sind die Alarmsirenen das Kernstück. Wie das Magazin Business Insider berichtet, wurde das Sirenen-System nach dem letzten verheerenden Sturm von 1999 für 4,5 Millionen Dollar rundum erneuert und 2002 eingeweiht. Doch die Möglichkeiten dieses ausgeklügelten Warnapparats sind angesichts der plötzlichen Naturgewalt eines Tornados beschränkt.
Die Bevölkerung mehr als 15 oder 20 Minuten vor Eintreffen eines Wirbelsturms zu warnen, ist auch deswegen schwierig, weil es ein sehr kurzlebiges Phänomen ist. Ein Tornado-Rüssel existiert normalerweise nicht sehr lang. Der Sturm, der Teile der Gegend südlich von Oklahoma City verwüstete, war der New York Times zufolge nach etwa 40 Minuten vorüber. Auch wenn der Wirbelsturm also geortet ist, ist nicht viel Zeit, um jene zu warnen, die sich in seinem Weg befinden.
Nicht nur zeitlich, auch räumlich ist ein Tornado eng begrenzt. "Der eigentliche Wirbel des Tornados ist nur bis zu 100 Meter breit, das unterscheidet ihn von anderen Wirbelstürmen", sagt Markus Stowasser, Meteorologe bei der Allianz, zu Süddeutsche.de. "Dafür ist der Schaden aber oft viel größer, die bekannte 'Schneise der Verwüstung'. Da kann es sein, dass ein Haus noch steht und ein anderes in unmittelbarer Nähe völlig zerstört ist."
Drei Kilometer breit war die Schneise, die der Tornado durch die dichtbesiedelte Wohngegend von Moore schlug.
Wenn es für das Sprachbild "dem Erdboden gleichmachen" eine reale Entsprechung gibt, dann sind es die Schäden innerhalb dieses Drei-Kilometer-Bandes. Wo gestern noch Wohnhäuser standen, bedeckt heute nur noch eine Trümmerschicht den Boden. Die Plaza-Towers-Grundschule, die in dem Sturm völlig zerstört wurde, verfügte einem Bericht des Nachrichtensenders ABC zufolge nicht über einen unterirdischen Schutzraum. Die Viert-, Fünft- und Sechstklässler seien in eine nahegelegene Kirche in Sicherheit gebracht worden. Einige Kinder der dritten Klasse werden noch immer unter den Trümmern des Schulgebäudes vermutet.
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Viele der zerstörten Gebäude hatten keinen Keller und waren aus Holz gebaut. Wer in einem Haus ohne Keller lebt, dem rät die US-Behörde für Katastrophenschutz Fema, einen Schutzraum einzurichten - die Anleitung dafür klingt wie aus dem Heimwerkermarkt: "Die Verbindungen zwischen allen Teilen des Schutzraums müssen stark genug sein, um dem Wind Widerstand zu leisten", heißt es auf der Webseite. Und: "Der Schutzraum muss fest genug verankert sein, dass er nicht umgeworfen oder angehoben wird."
Viele US-Amerikaner verlassen sich beim Hauskauf auf das Prädikat "built to code" - was nur bedeutet, dass das Gebäude den normierten Sicherheitsstandards entspricht. An der dominierenden Holzbauweise hat sich in den vergangen Jahrzehnten nichts Wesentliches geändert, auch nicht in von Naturkatastrophen besonders bedrohten Gegenden, zu denen die tornado alley gehört.
Über die Ursachen kann man nur spekulieren. "Das dürfte historische Gründe haben und an der Mentalität in den USA liegen", sagt Peter Miesen, Sturmexperte bei der Munich Re, zu Süddeutsche.de. Das sei für Moore aber ohnehin nebensächlich: "Bei weniger starken Stürmen ist die Bauweise sehr wichtig, bei Windgeschwindigkeiten von etwa 300 Stundenkilometer wie bei dem Tornado vom Montag spielt sie aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Bei stabilerer Bauweise würden jetzt vielleicht noch Fundamente stehen, aber für die betroffenen Personen macht das keinen großen Unterschied."
Bei so einem Wirbelsturm der Stärke 4 auf der Fujita-Skala für Tornados fällt draußen der Luftdruck stark ab, während er im Inneren der Häuser gleich bleibt. Der Druckabfall bringt Fenster - oder sogar ganze Häuser - zum Bersten. "Außerdem herrscht Gefahr durch Trümmerteile, die der Sturm schon in sich aufgenommen hat", erläutert Miesen.
Der wirtschaftliche Schaden durch den Sturm vom Montag dürfte in die Hunderte Millionen Dollar gehen. "Bei Tornados wie diesen stützen sich unsere ersten Schadenschätzungen vor allem auf Augenzeugenberichte. Welche Schadensmuster gibt es? Wo hat der Sturm genau Schaden angerichtet?", erläutert Allianz-Sturmexperte Stowasser.
Genaue Summen freilich sind Spekulation. Doch schon jetzt vergleichen etliche Augenzeugen die Zerstörungskraft des Sturms mit dem Tornado von 1999. Albert Ashwood, Direktor des Notfallzentrums von Oklahoma, sagte dem Sender CNN zufolge, die beiden Tornados seien "vergleichbar zerstörerisch". Am 3. Mai 1999 zog ein Tornado über Oklahoma City hinweg, der 26 Menschen das Leben nahm und in der Hauptstadt des US-Bundesstaats Oklahoma einen Gesamtschaden von einer Milliarde Dollar anrichtete.
Generell sind die versicherten Schäden durch einzelne Tornados - da die betroffenen Gebiete überschaubar sind - eher gering. 2011 erlebten die USA eine der schlimmsten Tornado-Saisonen ihrer Geschichte. "Damals wurden Schäden von insgesamt 25 Milliarden Dollar angerichtet. Zum Vergleich: Das ist etwa die halbe Schadenssumme von Hurrikan Katrina", rechnet Munich Re-Sturmfachmann Miesen vor.
Nach dem letzten großen Tornado 1999 erhielt der Bundesstaat Oklahoma einem Bericht der Huffington Post zufolge 67,8 Millionen Dollar aus bundesweiten Unwetterfonds. Nur Kalifornien und Texas haben laut Katastrophenbehörde Fema zuletzt häufiger Mittel aus diesen Notfalltöpfen erhalten - nach der Katastrophe vom Montag dürfte Oklahoma in diesem Ranking der Zerstörungen weiter aufsteigen.
Tornados treten auch in Deutschland jedes Jahr auf, doch sind die Windhosen meist deutlich weniger stark als ihre Verwandten in den USA. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die europäischen Gebirge wie die Alpen meist verhindern, dass uns entsprechend feuchte und warme Luftmassen erreichen.