Süddeutsche Zeitung

Vulkanausbruch:"Wie eine Mondlandschaft"

Der Ausbruch des Unterwasservulkans hat im Pazifik Flutwellen ausgelöst und für einen Ascheregen gesorgt. Wie schwer hat es das Königreich Tonga getroffen?

Von Thomas Hahn, Tokio, David Pfeifer, Bangkok, und Oliver Klasen

Der gewaltige Ausbruch des Unterseevulkans Hunga Tonga-Hunga Ha'apai im Inselreich Tonga hat am Wochenende viele Pazifikstaaten in Alarmbereitschaft versetzt und Flutwellen ausgelöst. Die Tsunami-Wellen wurden nicht nur in Tonga, sondern auch in Neuseeland, Japan und Fidschi registriert. Überschwemmungen in Santa Cruz im US-Bundesstaat Kalifornien werden ebenfalls auf den Ausbruch zurückgeführt. Selbst in Deutschland registrierten Meteorologen die Druckwelle der Explosion.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern sagte am Sonntag, bislang gebe es keine offiziellen Berichte über Verletzte und Tote. Durch den Vulkanausbruch sei Tonga in vulkanischen Staub gehüllt, die Kommunikation mit dem Inselreich im Südpazifik sei eingeschränkt, da ein Unterseekabel in Mitleidenschaft gezogen sei. Auf den Inseln habe es einen massiven Stromausfall gegeben, Handys funktionierten nur sporadisch.

Klar sei aber, dass ein Tsunami die Hauptstadt von Tonga "erheblich getroffen" habe. Boote und Felsbrocken seien an Land gespült und Gebäude beschädigt worden. Die neuseeländische Armee werde am Montag versuchen, einen Überwachungsflug zu starten. Derzeit sei das Fliegen zu unsicher, da in knapp 20 Kilometern Höhe Asche gesichtet worden sei.

Mit vulkanischer Asche bedeckt

Die BBC zitierte am Sonntagabend Einwohner des Königreichs mit den Worten: Tonga sehe "wie eine Mondlandschaft" aus, nachdem es von einer Schicht vulkanischer Asche bedeckt wurde.

Die USA und die Vereinten Nationen sagten Hilfe zu. Nach Angaben der Hilfsorganisation Save the Children galt in Tongas Hauptstadt Nuku'alofa ein Mensch als vermisst, wie der Sender Radio New Zealand (RNZ) berichtete.

Der australischen Wetterbehörde zufolge war die Welle, die Nuku'alofa, die Hauptstadt des Inselreiches, traf, etwa 120 Zentimeter hoch. Die britische BBC berichtete unter Berufung auf Bilder aus sozialen Netzwerken, dass in Nuku'alofa Wasser durch eine Kirche und mehrere Wohnhäuser geströmt sei. Außerdem versuchten Bewohner in besonders niedrig gelegenen Gebieten, sich mit ihren Autos vor der Flutwelle zu retten. Medienberichten zufolge wurde auch Tongas König Tupou VI. aus dem Königspalast in Sicherheit gebracht.

UN-Generalsekretär António Guterres sagte, er sei "zutiefst besorgt". Die UN beobachteten die Situation genau und seien jederzeit in der Lage, zu helfen. US-Außenminister Tony Blinken twitterte: "Die Vereinigten Staaten sind bereit, unseren Nachbarn im Pazifik Unterstützung zu gewähren."

450 spuckende Krater

Tonga liegt auf dem sogenannten Ring of Fire, der sich auf etwa 40 000 Kilometern Länge von drei Seiten um die Pazifische Platte gebildet hat und auf dem 450 spuckende Krater liegen, etwa 75 Prozent aller weltweit bekannten Vulkane. Die tektonischen Platten, die anstoßen, drücken die Pazifische Platte in Richtung des Erdinneren. Dort erhitzt sich das Gestein und wird zu Magma.

Der Vulkan mit Namen Hunga Tonga-Hunga Ha'apai ist seit Dezember aktiv. Er liegt etwa 30 Kilometer südlich der zu Tonga gehörenden ehemaligen Vulkaninsel Fonuafo'ou, die auch als Falcon Island bekannt ist, und deren Reste aktuell mehrere Meter unter der Wasseroberfläche liegen. Der Ausbruch am Samstag war offenbar derart heftig, dass die Erschütterungen auch noch in 800 Kilometer Entfernung auf Fidschi zu spüren waren. Auch dort kam eine Flutwelle an, außerdem ging Asche nieder.

In Japan löste der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai die erste Tsunami-Warnung seit 2016 aus. Weil der Unterwasservulkan knapp 8000 Kilometer weiter südlich liegt, hatte das Wetteramt in Tokio zunächst keine Sorgen. Aber das änderte sich am sehr frühen Sonntagmorgen. Bis zu drei Meter hoch könne der Tsunami an Japans Küste werden, hieß es. Nach Angaben des Amtes für Feuer- und Katastrophen-Management waren zwischenzeitlich 210 000 Menschen aufgerufen, sich aus ihren Häusern an höhergelegene Orte zu begeben.

In Japan erinnerte man sich sofort an Fukushima

Viele, die am Sonntagmorgen aufgerufen waren, sich in Sicherheit zu begeben, hatten am 11. März 2011 den verheerenden Tsunami erlebt. Dieser brachte Wellen von bis zu 40,5 Metern Höhe. In den Präfekturen Fukushima, Iwate und Miyagi kamen 20 000 Menschen ums Leben. Im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi löste eine Riesenwelle in drei Reaktoren eine Kernschmelze aus. Selbst für das erdbebengewohnte Japan war das ein Trauma. Deshalb unterschätzte niemand die Gefahr, als das Wetteramt seine Tsunami-Warnung ausgab. Tief in der Nacht bewegten sich die Leute zu den ausgeschilderten Fluchtpunkten.

Umso größer muss die Erleichterung gewesen sein, als die Wellen relativ niedrig blieben. Die Insel Amami-Oshima im Süden der japanischen Inselkette meldete 1,20 Meter, die Stadt Kuji in Iwate 1,10 Meter. An den meisten Orten blieben die Wellen unter einem Meter. In den Präfekturen Kochi und Tokushima brachten sie ein paar Boote zum Kentern. Berichte über schwerere Verletzungen gab es bis zum Sonntagabend nicht. Trotzdem setzte diese Nacht wieder ein Zeichen: In Japan kann die Natur jederzeit zuschlagen.

Erdbeben und Tsunamis gibt es um die Pazifische Platte häufig, die ganze Tektonik ist permanent in Bewegung. Die Katastrophe von Fukushima ist genauso auf tektonische Aktivität zurückzuführen wie der Tsunami, der am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 im Indischen Ozean viele Inseln und Küsten verwüstete.

"Was da passiert ist, nennen wir eine phreatomagmatische Explosion. Wenn Magma auf viel Wasser trifft, kann der daraus resultierende Wasserdampf das tausendfache Volumen von Wasser haben und gewaltige Druckwellen auslösen", sagte am Sonntag Tim Yilmaz, Vulkanologe an der Universität München.

Es sei bekannt, sagte Yilmaz, dass der Hunga Tonga-Hunga Haʻapai auch 1912, 1937, 1988 und zuletzt 2014 ausgebrochen sei. Häufig würden Unterseeausbrüche auch lediglich Schlamm hervorbringen, aber diesmal sei es zu einem extremen Asche-Auswurf gekommen, ähnlich wie bei dem Vulkan Eyjafjallajökull, der im Jahr 2010 den Flugverkehr in Europa lahmlegte. "Die Asche macht aber nicht nur die Kiwis im Supermarkt teurer, weil die Lieferketten gestört werden, sie kann auch zu saurem Regen führen, der die Landwirtschaft ruiniert und möglicherweise Lungenschäden verursachen", sagte Yilmaz.

Die letzte Naturkatastrophe auf dem Pazifischen Feuerring gab es erst vor einem Monat. Der Semeru auf Java in Indonesien brach aus; mehr als 30 Menschen kamen ums Leben. Wie viele Menschen nun durch den Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Haʻapai ums Leben gekommen sind, ist noch unklar. Durch die beiden Ausbrüche von 2009 und 2014 und anhaltende vulkanische Tätigkeit hatte der Unterwasservulkan eine neue Insel geschaffen und die bis dahin getrennten Inseln Hunga Tonga und Hunga Haʻapai miteinander verbunden.

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