Tödlicher Anschlag auf Berufsschule in Brindisi:"Wer auf eine Schule zielt, zielt auf ganz Italien"

Brindisi ist eine Stadt unter Schock und Tränen. Mehrere Bombenexplosionen vor einer Schule haben hier ein junges Mädchen in den Tod gerissen und weitere Menschen verletzt. Ermittelt wird in alle Richtungen, doch Italien befürchtet vor allem eines: Dass die Mafia hinter dem Attentat steht.

Andrea Bachstein, Rom

Sie waren gerade vor ihrer Schule in Brindisi aus dem Bus gestiegen, als die Bomben explodierten: Ein 16 Jahre altes Mädchen ist am Samstagmorgen in der apulischen Hafenstadt getötet und fünf Menschen teils schwer verletzt worden bei dem Anschlag, der ganz Italien entsetzt und aufbringt. Und der große Sorge weckt, es könnten die finsteren Zeiten der Mafia-Anschläge der neunziger Jahre zurückkehren.

Im Internet haben sich binnen Stunden Bürger von Nord bis Süd für den Abend zu Umzügen zum Protest und Gedenken verabredet. Die Ermittlungen laufen nun in alle Richtungen, nichts ist gesichert. Doch was Brindisis Bürgermeister Domenico Consales als erster aussprach, ist schnell zur am meisten vertretenen Hypothese geworden: Das infame Attentat auf Schüler könnte Werk der apulischen Mafia Sacra Corona Unita sein.

Innenministerin Anna Maria Cancellieri sagt zwar, dafür gebe es bisher keine Beweise. Und nach Beratungen der Ermittler in Apulien sind auch die Experten der Anti-Mafia-Behörden nicht sicher. Ihr oberster Chef, Piero Grasso, sagt, einiges spreche auch gegen die Mafia-Hypothese. "Es könnte auch eine nicht-mafiöse Organisation sein", sagte der Leitende Staatsanwalt Cataldo Motta, nannte aber keinen anderen Verdacht.

Sicher ist, die Urheber des Anschlags wollten töten. Es war 7.45 Uhr, als die Sprengkörper, vermutlich mit Zeitzünder ausgelöst, in drei großen Gasflaschen fast zeitgleich direkt am Tor der Berufsschule in einem Wohnviertel am Stadtrand von Brindisi detoniert sind. Die Wucht war so groß, dass Fenster in entfernteren Häusern barsten.

Indizien für einen Mafiahintergrund

Trostlos der Anblick zerfetzter Hefte und Bücher, Scherben, Rucksäcke, verlorene Turnschuhe und Wasserflaschen, die auf dem Platz vor der Berufsschule verstreut zurückgeblieben sind. Eine Viertelstunde früher wäre niemand dort gewesen. Aber nicht auszudenken, wie viele Menschen gestorben wären, wären die Explosionen nur eine Viertelstunde später ausgelöst worden, um acht Uhr. Dann öffnet die Schule normalerweise, die fast nur von Mädchen besucht wird, die dort Berufe in Tourismus, Mode und im Sozialbereich lernen.

Melissa Bassi, einziges Kind eines Arbeiters und einer Hausfrau, wollte in die Mode. Sie konnte im Krankenhaus nicht mehr gerettet werden. Ihre Freundin Veronica Capodieci, 16, schwebte am Abend noch zwischen Leben und Tod, auch ihre Schwester gehört zu den schwerer Verletzten.

Sie sind Pendelschüler, die mit dem Bus früher ankommen als die anderen, und sie kommen aus dem kleinen Ort Mesagne. Das ist eines der Indizien, die für einen Mafiahintergrund sprechen. Erst vor zwei Wochen hatte die Sacra Corona Unita dort zugeschlagen. Jedenfalls ist kaum denkbar, dass andere das Auto von Fabio Marini gesprengt haben, der Vorsitzender des örtlichen Bündnisses Anti-Racket ist, das gegen Schutzgelderpressungen der Mafia kämpft.

"Sie haben uns in dem getroffen, was uns am meisten am Herzen liegt"

Mesagne ist einigen Schilderungen zufolge ein Ort, in dem die apulische Mafia stark vertreten und das Gesetz des Schweigens noch nicht gebrochen ist. Vor gut einer Woche hat die Polizei dort 15 mutmaßliche Mafiosi festgenommen. Vor allem aber ist die Symbolik unübersehbar, die mit dem Namen der Schule in Brindisi verbunden ist: "Francesca Laura Morvillo Falcone". Sie war die Frau des Richters Giovanni Falcone.

Mit ihm wurde sie ermordet von der Cosa Nostra, und der 20. Jahrestag der Bombe von Capaci steht kurz bevor. Am 23. Mai 1992 sprengte die Cosa Nostra dort das Auto mit ihrem entschlossensten Gegner Falcone in die Luft, außer Francesca Morvillo starben drei Polizisten mit ihm. Das Attentat hat Geschichte geschrieben als offene Kriegserklärung der Mafia an den Staat.

Zwei Monate später tötete die Cosa Nostra Falcones Kollegen und Freund Paolo Borsellino. Längst sind die beiden heldenhaften Richter Ikonen des Kampfs gegen die Mafia und ihre Namen Synomyme dafür. Genau am Samstag wurde in Mesagne auch die "Karawane der Legalität" der Anti-Mafia-Bewegung "Libera" erwartet.

Nichi Vendola, der Regionspräsident von Apulien, der von einem barbarischen Akt spricht, hat außerdem darauf hingewiesen, dass genau in der Gegend von Brindisi in letzter Zeit diverse Schläge gegen die Sacra Corona Unita geführt worden sind. Die Villa eines Clanbosses wurde beschlagnahmt und Gelände aus Mafiahand, das nun von "Libera" bewirtschaftet wird. "Wir stehen in mehreren apulischen Provinzen vor einer neuen Zunahme der Kriminalität", sagte Vendola. Aber auch Vendola wies darauf hin, es sei vorschnell, jetzt schon Schlüsse zu ziehen.

Brindisi mit seinen knapp 90.000 Menschen ist am Samstag eine Stadt unter Schock und in Tränen. Vom G-8-Gipfel im fernen Camp David hat Italiens Premier Mario Monti angeordnet, die Staatsflaggen für drei Tage auf Halbmast zu senken. Der Präsident, der Vatikan und die Chefs der Parteien verurteilen den Anschlag mit harten Worten.

Der Erziehungsminister hat formuliert, was viele empfinden. Ehe er aufbrach, die verletzten Schüler zu besuchen, sagte Francesco Profumo: "Sie haben uns in dem getroffen, was uns am meisten am Herzen liegt - die Schule, unsere Kinder." Wenn Feiglinge auf eine Schule zielen, "zielen sie auf ganz Italien".

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