Todesschütze von Wisconsin:Einer von tausend

Wade Michael Page war ein frustrierter Neonazi, der seinen Job und seine Freundin verloren hatte - und dann zur Waffe griff. Doch bereits Jahre vor dem Anschlag auf einen Sikh-Tempel im US-Bundesstaat Wisconsin propagierte der Täter seinen Hass in Neonazi-Bands. Schon lange stand der Ex-Soldat unter Beobachtung von Bürgerrechtsorganisationen.

Vanessa Steinmetz

Die offenen Türen des Tempels waren eine Selbstverständlichkeit, eine Geste der Offenheit: Wieso sollte die Glaubensgemeinschaft der Sikh in dem kleinen Örtchen Oak Creek, Wisconsin, auch ihre Tore verschließen vor Besuchern und Bedürftigen?

Shooting At Sikh Temple Outside Of Milwaukee

Vor dem Haus des mutmaßlichen Attentäters Wade Michael Page übertragen Fernsehjournalisten ihre Berichte.

(Foto: AFP)

Doch der Gast, der an diesem Sonntagmorgen eintrat, wollte nicht beten und auch kein kostenloses Essen. Wade Michael Page wollte töten. Ohne Vorwarnung eröffnete der 40-Jährige das Feuer, sechs Menschen brachte er um, bevor ein Polizist den Attentäter erschoss.

Schon wenige Stunden nach der Tat wurde spekuliert, ob der Mann mit dem 9/11-Tattoo die gläubigen Sikh, die einen Turban und lange Bärte tragen, nicht schlicht mit Muslimen verwechselt hatte. Doch inzwischen ergibt sich ein Täterprofil, das einen Mann zeigt, dessen Hass auf Menschen anderer Abstammung und Hautfarbe keine Grenzen kannte. Die traurige Erkenntnis: Für den Neonazi waren sowohl die meist indischstämmigen Sikh genauso wie auch Muslime nicht mehr als "dreckige Menschen".

Denn nicht das 9/11-Tattoo, sondern ein anderes lässt Rückschlüsse auf die Motive für die Tat zu. Auf dem linken Oberarm des Mannes prangt ein gestochenes Bild mit einer großen 14 in Frakturschrift, die Zahl ist umringt von einem Kreis mit einem keltischen Kreuz. Beide Symbole sind bei Neonazis äußerst populär: Das Kreuz, ursprünglich ein heidnisches Sonnensymbol, wird auch wegen der Ähnlichkeit mit einem Fadenkreuz für die "White-Power"-Bewegung instrumentalisiert. Die Zahl steht für das rassistische Credo, das durch den US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane geprägt wurde und im Englischen aus 14 Wörtern besteht: "We must secure the existence of our people and a future for white children." ("Wir müssen die Existenz unserer Leute und die Zukunft für weiße Kinder sicherstellen.")

Page war Bürgerrechtsorganisationen bekannt

Die rassistische Gesinnung des Massenmörders zeigte sich nicht nur in seinen Tätowierungen, sie war auch der Öffentlichkeit bekannt. Seit mehr als zehn Jahren hatte ihn die Bürgerrechtsorganisation Southern Law Poverty Center (SLPCenter) bereits wegen seiner Verbindung zum "White Supremacist Movement" auf dem Radar, einer ultrarechten Organisation, deren Mitglieder an die "Überlegenheit der weißen Rasse" glauben. Seit 2010 hatte auch die Anti-Defamation League (ADL), die eine Datenbank über Menschen aus Hass-Gruppen füllt, nach Angaben des Nachrichtenprotals The Daily Beast den Lastwagenfahrer auf dem Radar.

Trotz der Indizien fiel Page allerdings offenbar durchs Raster. "Wir hielten ihn nicht für besonders gefährlich", sagte Mark Potok vom SLPCenter zur New York Times (NYT). Deshalb gab die Organisation die Informationen über Page auch nicht an die Justiz weiter. "Er war einer unter tausend. Wir hatten ein Auge auf ihn, mehr nicht." Schließlich sei es nahezu unmöglich gewesen, vorherzusagen, wer losziehen und Morde begehen würde.

Die Zahl der rassistischen und extremistischen Organisationen ist nach Angaben des Southern Law Poverty Center in den USA seit 2000 um 69 Prozent gestiegen. Im vergangenen Jahr gab es dem Bericht zufolge mehr als 1.000 aktive "hasserfüllte" extremistische Gruppen. Dabei handle es sich meist um Gruppen von Weißen, es gebe aber auch solche mit schwarzen oder jüdischen Anhängern. Die drastische Zunahme erklärt die Organisation mit "Wut und der Angst vor einer schlechten Wirtschaftslage, der Zuwanderung nicht-weißer Ausländer und der sinkenden weißen Bevölkerungszahl, was durch die Wahl des ersten schwarzen Präsidenten in den USA symbolisiert" werde.

Als Neonazi-Musiker in der Szene bekannt

In der rechten Szene war Page vor allem als Musiker bekannt. Er spielte in mehreren Neonazi-Bands, in deren Songs unter anderem zum Mord an Juden, Farbigen und Schwulen aufgerufen wurde. Im Song "White Victory" der "Blue Eyed Devils", einer seiner Bands, heißt es unter anderem: "Now I'll fight for my race and nation/Sieg Heil!" ("Jetzt werde ich für meine Rasse und meine Nation kämpfen/Sieg Heil!")

Wade Michael Page

Warum erschoss Wade Michael Page im Sikh-Tempel in Oak Creek sechs Menschen? Zwei Tage nach der Bluttat versucht das FBI, das Motiv des Todesschützen zu ermitteln.

(Foto: AP)

Seit 2005 war der Ex-Soldat zudem der Kopf einer Nazi-Rockband namens "End Apathy" ("Schluss mit der Apathie"). Die rassistische Ausrichtung der Gruppe versuchten die Mitglieder offenbar nicht zu verstecken: Auf dem Cover der CD "Violent Victory" der Band soll ein tätowierter weißer Arm zu sehen sein, der einen farbigen Mann schlägt, dem dabei Blut aus dem Mund quillt.

In einem Interview für ein rechtes Musiklabel, das einen Tag nach dem Attentat aus dem Netz genommen wurde, erzählt Page, dass er die Band aus Frust über die Gesellschaft gegründet habe. "Zu der Zeit realisierte ich: Wenn wir herausfinden, wie wir die Apathie der Leute beenden können, könnte das der Start für etwas Neues sein", sagte er laut der US-Zeitschrift Mother Jones. Das Label hat sich mittlerweile mit einer Mitteilung von Page distanziert.

Das Vokabular in den Texten der Nazi-Band könne laut Experten des SPLCenter der Gruppierung der Hammerskins zugerechnet werden. Seit 2011 soll Page zu der landesweiten Skinhead-Ansammlung mit regionalen Ablegern und Chaptern gehört haben. Page war auf Hammerskin-Seiten im Netz häufiger unterwegs, ebenso auf anderen rechtsradikalen Webseiten wie beispielsweise die der Stormfront, auf denen er auch Postings mit der Zahlenkombination "88" (steht für "Heil Hitler") hinterließ, wie die New York Times berichtet.

"Warum er sich veränderte, wissen wir nicht"

Der Zeitung gegenüber zeigten sich Nachbarn und Verwandte fassungslos ob der Radikalisierung des bis dahin nicht sonderlich aktenkundigen Einzeltäters. Page sei in einer behüteten und liebevollen Familie aufgewachsen, wird seine Stiefmutter vom Milwaukee Journal Sentinel zitiert. Als Kind habe er "normale Jungssachen" gemacht und gerne Musik gespielt. "Warum er sich veränderte und woher das kam, wissen wir nicht", sagte sie der Zeitung.

1992 trat der spätere Attentäter in die Armee ein, diente erst als Raketentechniker und wurde später einer Einheit für psychologische Kriegsführung zugeteilt. Sechs Jahre später folgte jedoch der Ausschluss aus der Army, unehrenhaft und ohne Chance auf eine Wiedereinstellung.

Ein Jahr später wurde Page wiederholt betrunken am Steuer erwischt. Eine vom Gericht angeordnete Erziehungskur trat er jedoch nicht an, wie die New York Post berichtet. Weitere Eintragungen soll es über ihn jedoch nicht geben. Wenige Wochen vor der Tat soll sich seine Freundin von ihm getrennt haben. Den Tempel der Sikhs hat er nach Polizeiangaben vorher nie bedroht.

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