Todesschüsse in US-Club:Angst vor Massakern ist die neue Normalität

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Eine US-Flagge in der Hand eines Trauernden nach der tödlichen Schießerei in einer Kneipe im kalifornischen Thousand Oaks. (Foto: AP)

Zwölf Tote nach einer Schießerei in einer Kneipe im kalifornischen Thousand Oaks. In einer der sichersten Städte der USA. Die Tat zeigt erneut, warum Eltern ihren Kindern nicht mehr nur Lesen und Ballfangen beibringen - sondern das Verhalten bei Massakern.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer am Donnerstag durch Thousand Oaks läuft, der wird den Eindruck nicht los, das alles schon mal gesehen oder gehört zu haben - selbst wenn er genau weiß, dass er noch nie in seinem Leben hier gewesen ist, vor der Country-Bar "Borderline" im Rolling Oaks Drive. Thousand Oaks ist eine Stadt an der amerikanischen Westküste, eine halbe Autostunde nordwestlich von Los Angeles, 96 Prozent der 130 000 Einwohner sind einer aktuellen Umfrage zufolge überaus glücklich und zufrieden mit ihrem Wohnort. Hier leben all jene, die ihre Ruhe haben möchten vor dem Trubel der nahegelegenen Metropole, die Bundesbehörde FBI führt Thousand Oaks als eine der sichersten Städte der USA, und das "Borderline" ist eine dieser gemütlichen Kneipen, in der sich die Leute auf ein Bier treffen oder den Formationstanz line dance üben.

Am Mittwochabend, da hat der ehemalige Soldat Ian David Long, offenbar jahrelang Stammgast im "Borderline", zwölf Menschen erschossen und sich danach selbst getötet. Hier, in dieser Stadt, in dieser Bar, das Motiv für die Tat ist derzeit noch unklar. "Man denkt immer, dass so etwas nicht in einer Stadt wie Thousand Oaks passieren kann", sagt Bürgermeister Andy Fox. "Die Wahrheit ist jedoch: Solche Schießereien können immer und überall passieren, auch in Gemeinden, die als überaus sicher gelten." Das heißt: Hier, das kann überall sein in den Vereinigten Staaten. Niemand ist sicher.

"Er hat mich Gott sei Dank nicht gesehen"

Die Waffe, eine Großkaliber-Pistole der Marke Glock, hatte sich der 28 Jahre alte Long, der in der Nähe der Kneipe im Haus seiner Mutter lebte und in deren Fahrzeug zur Bar kam, legal in einem Geschäft in der Nähe gekauft. Das erweiterte Magazin, das er verwendet hat, ist in Kalifornien verboten - es ist noch unklar, woher er sich das besorgte. "Es hörte sich zunächst an, als hätte jemand ein paar Feuerwerksknaller gezündet", sagt die Studentin Nellie Wong, die im Borderline ihren 21. Geburtstag gefeiert und sich während der Schießerei hinter Stühlen versteckt hat: "Er hat mich Gott sei Dank nicht gesehen. Ich werde dieses Geräusch in meinem Leben nicht vergessen: 'Bamm! Bamm! Bamm! Bamm!' Immer wieder: 'Bamm! Bamm! Bamm! Bamm!'"

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Bammbammbammbamm. Das ist das Geräusch, das beim Abfeuern einer Glock 21 entsteht. Es erinnert an die Berichte vom Oktober vergangenen Jahres, als ein Attentäter in Las Vegas 58 Besucher des Festivals "Route 91 Harvest" getötet und mehr als 800 verletzt hat. Zahlreiche Menschen, die dabei gewesen sind, erzählten danach von diesem Geräusch, das sie niemals würden vergessen können: Rrrrrrrrrr. Immer wieder, als würde jemand zehn Sekunden lang mit der Zunge rollen: rrrrrrrrrr. Es ist das Geräusch, wenn jemand Sturmgewehre mit Schnellfeuerkolben (Bump Stock) abfeuert und dazwischen nachlädt oder die Waffe wechselt.

Ähnlich war es im Februar an einer Highschool in Parkland im Bundesstaat Florida, als der Täter insgesamt 17 Menschen getötet und ebenso viele verletzt hat. Die Überlebenden berichteten von dem Geräusch, das beim Abfeuern des halbautomatischen Sturmgewehrs Smith & Wesson M&P15 entsteht: Bappbappbapp. Immer wieder: bappbappbapp.

Ein Country-Musik-Festival in Las Vegas, eine Schule in einer Kleinstadt im Bundesstaat Florida, eine Kneipe an der Westküste. Das sind Orte, an denen sich die Menschen sicher fühlen, wo sie feiern oder etwas lernen wollen. Geoff Dean ist Sheriff in Thousand Oaks, er steht am Donnerstag vor dem Polizeipräsidium und sagt Worte, die man zuvor schon so ähnlich von Bürgermeister Fox gehört hat: "Es ist völlig egal, wie sicher eine Gegend zu sein scheint und wie niedrig die Verbrechensrate ist. Es gibt überall Leute, die nicht richtig sind im Kopf, und die begehen solch entsetzliche Verbrechen wie dieses. Man kann das Unerklärliche nicht erklären." Heißt, und auch das hat man vorher schon mal gehört: Hier, das kann überall sein in den Vereinigten Staaten. Niemand ist sicher.

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Die Menschen in Thousand Oaks trauern am Donnerstag, an der Prozession für den verstorbenen Polizisten Ron Helus (er war sechs Minuten nach dem Notruf in die Kneipe gekommen und vom Täter erschossen worden) nehmen zahlreiche Einwohner teil oder zollen dem Beamten am Straßenrand ihren Respekt. Sie sprechen über die Opfer, aber auch darüber, dass Massaker wie dieses mittlerweile beinahe zum Alltag gehören in diesem Land, allein in den vergangenen zwei Wochen hat es vier solcher Vorfälle gegeben: in einem Supermarkt in Kentucky, in einer Synagoge in Pennsylvania, in einem Yoga-Studio in Florida und nun in dieser Kneipe in Kalifornien.

Laut einer Statistik der Non-Profit-Organisation "Gun Violence Archive" hat es in diesem Jahr in den Vereinigten Staaten bislang 307 Schießereien mit jeweils mehr als zwei Verletzten gegeben, Todesopfer insgesamt: 329. Wohlgemerkt: In diesem Jahr sind bis zum Donnerstag 312 Tage vergangen.

Was einen noch mehr schockiert als die Tatsache, dass ein derart schreckliches Verbrechen an einem derart ruhigen und vermeintlich sicheren Ort passieren kann, das ist die Routine im Umgang damit. Ein junges Mädchen zum Beispiel hat die Tat am Mittwochabend überlebt, sie hat sich zuerst hinter einem Tisch versteckt und sich dann durch einen Sprung durchs Fenster gerettet. Am Donnerstag steht der Vater der jungen Frau vor Fernsehkameras und berichtet nicht ohne Stolz, dass er seiner Tochter beigebracht habe, wie sie sich bei einer Schießerei verhalten solle - und dass sie genau das getan habe, was er ihr gezeigt hat. Die USA sind ein Land, in dem diese Schießereien derart häufig vorkommen, dass Eltern ihren Kindern nicht mehr nur Lesen und Ballfangen beibringen, sondern das Verhalten bei Schießereien.

Genug von "Thoughts and Prayers"

Immerhin gibt es diesmal kaum "Thoughts and Prayers" von Politikern, die womöglich endlich begriffen haben, wie zynisch diese Aussagen auf die Angehörigen der Opfer wirken - vielleicht haben sie aber auch gehört, dass die Angehörigen der Opfer von Thousand Oaks ihnen mitgeteilt haben, nur ja keine "Gedanken und Gebete" hören zu wollen. "Das ist Amerika", sagt Gavin Newsom am Donnerstag auf einer Veranstaltung in San Francisco. Er ist am Dienstag zum Gouverneur von Kalifornien gewählt worden und gilt als Advokat schärferer Waffengesetze: "Das passiert nirgendwo anders auf diesem Planeten, das dürfen wir nicht vergessen. Wir dürfen nicht zulassen, dass das der Normalzustand wird."

Wer Thousand Oaks verlässt und nach Hause kommt in eine Kleinstadt im Süden von Los Angeles, die als eine der sichersten in den Vereinigten Staaten gilt, der liest womöglich diese Mail. Die Rektorin der Grundschule hat sie am Donnerstagnachmittag verschickt, es geht um die Vorbereitung auf und den Umgang mit solchen Schießereien, es sind darin Sätze zu lesen wie: "Manchmal machen Leute schlimme Dinge." Oder: "Achtet darauf, ob jemand eine Waffe bei sich hat." Oder: "Es gibt keine Garantie, dass niemals etwas Schreckliches passieren wird." Es gibt an dieser Schule nicht nur regelmäßige Übungen zum Verhalten im Falle eines Erdbebens oder Tsunamis, sondern auch zum sogenannten lockdown, dem Verschanzen im Klassenzimmer bei Gefahr.

Thousand Oaks, das kann überall sein in den Vereinigten Staaten. Niemand ist sicher.

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