Todesflug AF 447:Ermittler unter Verdacht

Was ist los bei den französischen Behörden? Selten standen nach einem Unglück die Ermittler selbst so unter Verdacht wie nach dem Absturz des Air-France-Flugs von Rio nach Paris. Aus dem Zwischenbericht soll ein entscheidendes Kapitel gestrichen worden sein - absichtlich, vermuten Angehörige der Opfer.

Es ist eines der rätselhaftesten Luftfahrtunglücke der vergangenen Jahrzehnte: Der Unglücksflug AF 447 von Rio nach Paris. Der Absturz, bei dem alle 228 Menschen an Bord ums Leben kamen, könnte eine Bedeutung bekommen, die weit über den Einzelfall hinausweist - nicht nur wegen der technischen Seite des Dramas vom 1. Juni 2009.

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Er sollte endlich Klarheit über den Hergang des Unglücks bringen: Einer der Flugschreiber aus dem Airbus, der 2009 über dem Südatlantik abstürzte.

(Foto: AFP)

Denn die Ermittler der französischen Flugunfall-Untersuchungsbehörde BEA stehen im Kreuzfeuer der Kritik wie selten zuvor eine Behörde bei einem solchen Unglück. Zunächst hatte ihre Entscheidung, in einem Gebiet weitab der Flugroute zu suchen, Kritik heraufbeschworen - das Wrack und seine Flugdatenschreiber wurden erst knapp zwei Jahre später gefunden und teilweise geborgen.

Nun sind es Ungereimtheiten im jüngsten BEA-Bericht, die zur offenen Vertrauenskrise zwischen der Behörde und Piloten sowie Angehörigen der Opfer von Flug AF 447 führten. Sind die Widersprüchlickeiten nur auf Ungeschicklichkeit zurückzuführen oder waren sie Absicht - in einer Gemengelage aus hohem Erwartungsdruck und handfesten wirtschaftlichen Interessen, wie es die Angehörigen vermuten?

Tatsache ist, dass die Behörde offenbar bewusst eine wichtige Passage mit einer Sicherheitsempfehlung aus ihrem Zwischenbericht gestrichen hat, den sie vergangenen Freitag einer erwartungsvollen Öffentlichkeit präsentierte.

Das Ganze wurde bekannt, weil nur vier Tage zuvor den Luftfahrtexperten der Wirtschaftsblätter La Tribune und Les Echos ein vertraulicher Entwurf des Berichts zugespielt worden war. In diesem Entwurf war ein Kapitel dem verwirrenden Verhalten der sogenannten Überzieh-Warnung ("stall warning") gewidmet. Sie gibt akustisch Alarm, wenn das Flugzeug zu langsam zum Fliegen wird und damit der Absturz droht. "Stall! Stall! Stall!" ertönt dann eine durchdringende Stimme im Cockpit. Piloten wird schon bei ihrer elementaren Grundausbildung beigebracht, die Bedeutung dieses Alarms überaus ernstzunehmen.

Ignorierter Alarm

Doch die Cockpit-Crew des verhängnisvollen Fluges AF 447 reagierte überhaupt nicht auf die 54-sekündige Warnung zu Beginn des etwa vierminütigen Sinkfluges in den Tod. BEA-Chef Jean-Paul Troadec gab vergangene Woche bei der Vorlage des Interims-Berichts seiner Behörde zu, dass das verwirrende An- und Ausschalten der Überzieh-Warnung die Piloten in der Tat irritiert haben könnte.

Denn anders als zu erwarten schwieg die Warnung, sobald eine bestimmte Geschwindigkeit unterschritten wurde - also, als das Flugzeug längst nicht mehr flog, sondern nur noch durchsackte. In dem Entwurf der BEA hatte es nach Angaben der beiden Wirtschaftsblätter geheißen: Die BEA empfehle, dass die europäische Luftfahrtbehörde EASA sicherstelle, dass das Funktionieren der Überzieh-Warnung im Fluge nicht durch beeinträchtigte Geschwindigkeitsanzeigen infragegestellt wird.

Denn möglicherweise ist das Phänomen verbreiteter als bisher angenommen. Die Zeitung Le Parisien berichtete unter Hinweis auf den Sicherheitspiloten einer ungenannten Airline, dass einige Airbus-Piloten in der Praxis kaum noch die Überzieh-Warnung beachteten. Der Grund: Eine Anzeige auf dem Cockpit-Bildschirm weise auf das Risiko einer überreagierenden Warnung hin. "Das ist so, als ob man ,Achtung!' sagt und zugleich erklärt: "Achten Sie nicht auf die Person, die Achtung sagt!", erklärte der ungenannte Pilot dem Blatt.

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