Oury Jalloh hat das Feuer in seiner Zelle nicht selbst gelegt. Das geht dem ARD-Format "Monitor" zufolge aus Ermittlungsakten hervor, die das Magazin einsehen konnte. Ohne Brandbeschleuniger oder Einwirkung von Außen seien die schweren Verletzungen des 2005 in seiner Zelle verbrannten Asylbewerbers nicht zu erklären. Die Staatsanwaltschaft hatte die Akten, die Ergebnisse aus mehreren Gutachten enthalten, selbst nicht veröffentlicht.
Die Ermittler in Dessau, die zunächst mit dem Fall befasst waren, vertraten lange die Theorie, Jalloh habe sich selbst angezündet. Der These zufolge soll er die Matratze, auf der er lag, aufgerissen und die herausquellende Füllung mit einem Feuerzeug in Brand gesetzt haben. Ob so ein Feuer hätte entstehen können, das seinen Körper bis in tiefe Muskelschichten verkohlte und sogar die Finger der linken Hand vollständig wegbrannte, wurde jedoch lange nicht von offizieller Seite überprüft. Erst im August 2016 versuchte die Staatsanwaltschaft dann mittels eines Brandversuchs, der von zwei verschiedenen Sachverständigen gemeinsam durchgeführt, dann aber getrennt begutachtet wurde, zu klären, wie Jalloh starb.
Unter anderem auf diesen Versuch beziehen sich offenbar die Stellungnahmen der Experten, die dem Magazin "Monitor" vorliegen. Die Sachverständigen aus den Bereichen Brandschutz, Medizin und Chemie kämen mehrheitlich zu dem Schluss, dass sich der Zustand der Zelle und des Leichnams nach dem Brand nicht ohne Einsatz geringer Mengen Brandbeschleuniger wie etwa Leichtbenzin erklären lasse, so "Monitor". Zudem sei die Theorie der Selbstanzündung so gut wie auszuschließen: Oury Jalloh sei bei Brandbeginn wahrscheinlich komplett handlungsunfähig oder sogar bereits tot gewesen.
Dieser Darstellung widerspricht die Staatsanwaltschaft in Halle, die seit August dieses Jahres mit dem Fall befasst ist, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau die Zuständigkeit für den Fall entzogen hatte. Gegen die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau, die seit 2014 zu dem Fall ermittelte, gab es immer wieder heftige Vorwürfe: Sie zeige zu wenig Eigeninitiative, verschleppe das Verfahren, halte Ermittlungsergebnisse zurück.
Die Staatsanwaltschaft Halle hatte vor etwa einem Monat bekanntgegeben, dass sie die Ermittlungen zum Fall Jalloh einstellen wird, weil "die Auswertung der zahlreichen Gutachten verschiedener Fachrichtungen" nur den Schluss zulasse, "dass der konkrete Ausbruch des Brandes, dessen Verlauf und das Verhalten des Oury Jalloh nicht sicher nachgestellt und nicht eindeutig bewertet werden können". Es bleibe eine Vielzahl von Möglichkeiten denkbar, "die zu widerstreitenden, sich teils wechselseitig ausschließenden Darlegungen der in die Auswertung einbezogenen Sachverständigen unterschiedlicher Fachbereiche führen".
Die Anwältin der Familie Jalloh hat Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt
Auf Anfrage sagte die leitende Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft Halle, Heike Geyer, der Süddeutschen Zeitung: "Es mag sein, dass nun die Akten in der Öffentlichkeit kursieren und dass jemand aufgrund dieser Akten zu einem anderen Ergebnis kommt. An unserer Einschätzung ändert das nichts." Anhand der Gutachten habe sich nicht endgültig ausschließen lassen,dass Jalloh sich selbst in Brand gesetzt haben könnte. Zumindest die rechtsmedizinischen Gutachten gingen davon aus, dass Jalloh bei Brandausbruch noch gelebt und seine Handlungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Es sei nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die konkrete Todesursache abschließend zu klären,so Geyer, sondern nur dem Anfangsverdacht einer Straftat nachzugehen, sofern ein solcher besteht."
Die Anwältin der Familie Jalloh, Gabriele Heinecke, bezeichnete die Einstellung der Ermittlungen gegenüber "Monitor" als Skandal. Sie hat dagegen Beschwerde eingelegt, die Entscheidung wird nun von Seiten der Generalstaatsanwaltschaft noch einmal überprüft.
In Dessau-Roßlau, wo der Fall Jalloh jahrelang behandelt wurde, bewertet man die Sachlage offenbar mittlerweile anders als zuletzt in Halle. "Monitor" zitiert aus einem Schreiben eines langjährigen Ermittlers der Staatsanwaltschaft Dessau. Der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann war lange ein Verfechter der Selbsttötungs-Theorie, hatte zuletzt aber seine Meinung geändert. In einem Schreiben vom April dieses Jahres - nach Auswertung der Gutachten - geht Bittmann von einem begründeten Mordverdacht im Fall Jalloh aus. Er benennt in dem Brief sogar konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizei.
Darin, dass Halle nun zu einem anderen Ergebnis kommt, als die zuvor mit dem Fall betraute Behörde, will die leitende Oberstaatsanwältin Heike Geyer in Halle keinen Widerspruch sehen: Bei der Übergabe des Falls habe es aus Dessau keine Vorgaben gegeben. Vielmehr sei der Akteninhalt in Halle noch einmal "eigenverantwortlich zu sichten und zu bewerten" gewesen. Der leitende Oberstaatsanwalt in Dessau-Roßlau, Folker Bittmann, wollte sich am Donnerstag zu dem Fall nicht äußern.