Tod von Mutter und zweijährigem Sohn in Leipzig:Nichts geahnt, nichts gesehen

"Man fragt sich doch, wieso da keiner etwas mitbekommen hat": In Leipzig versterben eine drogenabhängige Frau und ihr kleiner Sohn in der Wohnung. Mehrere Behörden sollen die junge Familie betreut haben. Nach dem Drama fällt auf die zuständigen Stellen kein gutes Licht.

Christiane Kohl, Leipzig

Ein Eckhaus mit sorgsam restaurierter Backsteinfassade, es steht in einer gutbürgerlichen Wohngegend von Leipzig. Immer wieder hatten Nachbarn in den letzten Wochen gehört, dass aus einer Wohnung in dem Haus Kinderschreie drangen. Doch es interessierte sich offenbar niemand genauer für die Ursachen der Schreie.

Zweijaehriger in Leipzig vermutlich neben Mutter verdurstet

Ein Kameramann filmt die versiegelte Tür der Leipziger Wohnung, in der eine 26 Jahre alte Frau und ihr zweijähriger Sohn tot aufgefunden wurden.

(Foto: dapd)

Erst als sich unangenehme Gerüche im Treppenhaus ausbreiteten, die offensichtlich aus der Wohnung kamen, alarmierten Anwohner die Polizei. Die Beamten machten eine furchtbare Entdeckung: In der Wohnung fanden sich zwei Leichen, eine 26-jährige Mutter und ihr zweijähriger Sohn.

Noch ist nicht klar, wie die beiden ums Leben kamen. Fieberhaft wird seit Tagen nach den Ursachen für das Familiendrama gesucht. Den Ermittlungen der Polizei zufolge war die Frau, die als drogenabhängig galt, in ihrer Wohnung aus noch ungeklärter Ursache verstorben. Ihr kleiner Sohn, der zum Todeszeitpunkt der Mutter vermutlich noch lebte, könnte verdurstet sein.

Vier Tage lang hatten die Polizisten zunächst nichts Näheres zu dem Fall bekannt gegeben, seit er dann jedoch Ende letzter Woche öffentlich wurde, sind nun gleich mehrere Behörden damit befasst. Kinderärzte meldeten sich zu Wort und die sächsische Sozialministerin Christine Clauß (CDU) erwartet umfassende Aufklärung. Unterdessen wollen in Leipzig an diesem Montag Vertreter verschiedener Ämter ihre jeweiligen Informationen zusammentragen: Ob Allgemeiner Sozialdienst (ASD) oder Jugendamt, Drogenhilfe oder Medizinischer Dienst - offenbar waren mehrere Mitarbeiter mit der Betreuung der kleinen Familie befasst.

Bereits seit ihrem 16. Lebensjahr war die Mutter den Behörden bekannt gewesen, damals sei sie in einem Suchtkrankenhaus behandelt worden, berichteten jetzt Vertreter der Leipziger Sozialbehörden. Als die Frau dann im April 2010 schwanger geworden war, nahm man sie in ein Betreuungsprogramm des Sozialdienstes auf. Noch in Erwartung des Babys besuchte sie eine Drogentherapie im Erzgebirge, nach der Trennung vom Kindsvater sei sie später in die Wohnung im Leipziger Stadtteil Gohlis gezogen, wird von den Behörden berichtet.

Dort hörten die Betreuer vom städtischen Sozialdienst offenbar immer mal wieder Beschwerden von Nachbarn wegen des angeblichen Konsums von illegalen Drogen. Bei ihren Stippvisiten hätten die Sozialbetreuer jedoch keine Indizien für diese Verdächtigungen festgestellt, wird seitens der Stadt berichtet.

"Kind und Mutter machten einen guten Eindruck"

Vor gut zwei Monaten, am 10. April dieses Jahres, bekamen die städtischen Betreuer die Frau dann zum letzten Mal zu Gesicht: "Die Mutter war mit neuem Lebenspartner und Kind bei uns", berichtete jetzt die Chefin des Leipziger Sozialdienstes Sibyll Radig. Die Frau, die Hartz IV bekam, habe mitgeteilt, "dass sie wegziehen will", so Radig, die hinzufügte: "Kind und Mutter machten einen guten Eindruck".

Seit diesem Tag hatte kein Amtsbetreuer mehr die kleine Familie besucht, weshalb der Leipziger Jugendamtschef Siegfried Haller ankündigte, man wolle nun prüfen, ob es bei der Betreuung der Mutter Lücken oder gar ein "Schnittstellenproblem" unter den Behörden gab. Zusammen mit anderen Fachvertretern will Haller den Fall nun gründlich analysieren.

Auf eine genaue Untersuchung, inwieweit die Behörden gut genug zusammenarbeiteten in diesem "sehr sehr tragischen Fall" dringt auch Sozialministerin Clauß. Unterdessen forderte der Chef der Leipziger Uniklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie Kai von Klitzing in einem Zeitungsinterview ein schärferes Kontrollsystem für Kleinkinder von drogenabhängigen Eltern. So sollten betroffene Kinder möglichst wöchentlich beim Arzt vorgestellt werden, Familienhelfer müssten die Eltern regelmäßig besuchen, auch der Besuch einer Kindertagesstätte sollte laut Klitzing im Falle von drogensüchtigen Eltern zur Pflicht werden.

Bei der Leipziger Staatsanwaltschaft wird betont, dass nach den bisherigen Obduktionsergebnissen die Todesursachen von Mutter und Kind noch unklar seien. "Wir können zwar ein Gewaltverbrechen in beiden Fällen ausschließen", so Behördensprecher Ricardo Schultz, was jedoch genau zum Tod der Mutter geführt habe sei noch nicht zweifelsfrei geklärt. Zurzeit laufen Befragungen von Nachbarn und Behördenmitarbeitern. "Man fragt sich doch, wieso da keiner etwas mitbekommen hat", sagt Staatsanwalt Schultz.

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