Sie wollten die Titanic sehen. In einer 6,70 Meter langen und 2,80 Meter breiten Kapsel, die nicht größer als ein Lieferwagen ist, ging eine fünfköpfige Mannschaft im Juni 2023 auf Tauchgang, eine Expedition in die Tiefen des Atlantiks. Aber die Fahrt zum Wrack der Titanic endete in einer Katastrophe: Das Tauchboot namens Titan implodierte, alle fünf Insassen kamen ums Leben. Der Fall bewegte wochenlang die Weltöffentlichkeit.
Was genau damals geschehen ist, wie es den Insassen ergangen ist, in den Sekunden und Minuten vor dem Unglück, das war am Ende nicht mehr zu erfahren. Nur in der Vorstellung lässt sich der Horror erahnen. Es kann ziemlich dunkel werden in so einem Tauchboot, insbesondere, wenn die Stromversorgung plötzlich ausfällt. Wenn die ersten Gewichte abgeworfen werden müssen, könnte den Insassen klar werden, dass mit der Expedition etwas gründlich schiefläuft.
So in etwa versuchen es Angehörige des verstorbenen Paul-Henri Nargeolet nun jedenfalls in einer Klage darzustellen. Nargeolet, der als „Mr. Titanic“ bekannt war, hat an 37 Tauchgängen zum Wrack der Titanic teilgenommen und war an jenem Tag mit an Bord der Titan. US-Medien zufolge behaupten Nargeolets Anwälte in ihrer Klageschrift, dass die Besatzung etwa 90 Minuten nach Beginn der Abenteuerreise bereits begonnen habe, Gewichte abzuwerfen. Was darauf hindeute, dass das Team die Reise abgebrochen habe. „Der gesunde Menschenverstand diktiert, dass die Besatzung genau wusste, dass sie sterben würde, bevor sie starb“, heißt es in der Klageschrift. Die Insassen sollen aufgrund dieser Ahnung Angst und seelische Qualen erlitten haben.
Der Klägerseite geht es vermutlich um die Darstellung eines unvorstellbar emotionalen Moments ohne viel Handlungsspielraum. Es geht aber auch um viel Geld. 50 Millionen Dollar Schadenersatz fordert Nargeolets Familie von dem Unternehmen Oceangate Expeditions, das die Abenteuerfahrt in die Tiefsee betrieben hat.
Unmöglich sei es nachzuvollziehen, was auf den letzten Metern des Tauchgangs geschah, findet der Schweizer U-Boot-Pilot und Tauchexperte Philippe Epelbaum im Gespräch mit der SZ. Gewichte abzuwerfen, sei im Fall einer Störung allerdings die zweite Wahl. „Zuerst wird man alles daran setzen, mit der eigenen Motorleistung wieder hochzukommen. Die könnte ausgefallen sein, denn wir wissen, dass auch die Kommunikation unterbrochen war. Also ein Indiz, dass etwas mit der Energieversorgung nicht stimmte.“
Die genaue Ursache der Implosion wird von einem Team der US-Küstenwache derzeit noch untersucht, aber die vergangenen juristischen Auseinandersetzungen des in Seattle ansässigen Unternehmens Oceangate werfen bereits einige Fragen auf.
Kritik am Karbonfaser- und Titanmaterial
Mehrfach soll dessen ehemaliger Direktor David Lochridge den Hersteller des Tauchboots, Stockton Rush, aufgefordert haben, eine neue Methode zu finden, um den Rumpf auf Risse und Löcher zu untersuchen, berichtete zuvor ABC News. Trotz seiner Warnungen änderte die Firma an dem Prüfsystem nichts. In seinem Qualitätsbericht hatte Lochridge 25 Probleme aufgelistet, die er bei dem Tauchboot gefunden haben will.
Nur kurz nachdem Lochridge angefangen hatte, an seinem Qualitätsbericht zu arbeiten, sollen sich mehrere Branchenführer, Tiefseeforscher und Ozeanografen zu Wort gemeldet und gewarnt haben: Der „experimentelle“ Ansatz von Stockton Rush und seine Missachtung traditioneller Prüfverfahren könnten zu einer potenziell „katastrophalen“ Titanic-Mission führen. Scharf kritisiert wurde insbesondere das Karbonfaser- und Titanmaterial, aus dem das Tauchboot hergestellt war, weil Stockton Rush und Oceangate Pionierarbeit bei der Entwicklung einer Karbonfaserhülle für ein Tiefseetauchboot leisten wollten. Viele Experten behaupteten, dass es einen Grund gab, warum noch niemand ein Unterwasserfahrzeug aus Kohlefaser gebaut hatte. Das Material könne dem immensen Druck im Meer nicht standhalten.
„Die Besatzung hat vielleicht gehört, wie das Knistern der Kohlefaser immer intensiver wurde, als das Gewicht des Wassers auf den Rumpf der Titan drückte“, schreibt die Klägerseite als möglichen Unglücksgrund. „Sollte hier ein Knacken oder Knistern zu vernehmen gewesen sein, werden sie ihren Gedanken an den Tod aber kaum zu Ende gedacht haben können“, sagt Experte Philippe Epelbaum. Die Implosion wird in diesem Fall dann im Bruchteil einer Sekunde erfolgt sein.