Im schönen, kleinen Bergdorf Ischgl an der Silvretta in Tirol leben etwa 1500 Einheimische. Aber das Dorf hat 10 000 Gästebetten, und in der Saison, die an diesem Donnerstag beginnt, fallen Tausende Skifahrer ein wie die Hunnen. Daher hat die Gemeinde vor einigen Tagen eine Anweisung herausgegeben, die es in sich hat. Das Papier, das auf der Webseite des Rathauses als "Vermieterinformation" und auch als "Ortspolizeiliche Verordnung" gleich doppelt im Wortlaut einzusehen ist, fängt harmlos an: Um den Gästen den Aufenthalt in Ischgl rund um die Uhr so angenehm wie möglich zu gestalten, heißt es, setze man "in dieser Wintersaison neue Qualitätsimpulse für unbeschwertes Après-Ski-Vergnügen".
Das Augenmerk liegt dabei auf "rund um die Uhr" und "Après-Ski", denn: Im Dorfzentrum ist von nun an das Tragen von Hartschalenschuhen, also "Skischuhen oder ähnlichem aus Plastik gegossenen Schuhwerk", sowie das Tragen von Skiern, Skistöcken und Snowboards zwischen acht Uhr am Abend und sechs Uhr in der Früh verboten. Bei Zuwiderhandeln müssen renitente Touristen 25 Euro, maximal sogar 2000 Euro Strafe zahlen.
Skifahrer gefährden mit geschulterten Ski und Stöcken Passanten
Den Grund erläutert Bürgermeister Werner Kurz bereitwillig; er hatte die mediale Erregung, welche die Nachricht in der Skiwelt ausgelöst hat, wohl nicht so ganz erwartet: Zum einen sei es durch Skifahrer, die ihre Ski und Stöcke geschultert trugen, immer wieder zur Gefährdung und gar zur Verletzung anderer Passanten gekommen. Zum anderen habe das Herumlaufen in Skischuhen immer wieder zu Stürzen geführt. Alles passiert also zum Schutz der Gäste.
Wenn man sich aber mit Menschen in Ischgl unterhält, die mit solchen Verletzungen entweder Geld verdienen oder aber als Retter bei schweren Stürzen hinzugerufen werden, dann klingt die Sache etwas anders. Andreas Walser, praktischer Arzt, hat seine Praxis im Zentrum des Skiorts, er mag zwar eigentlich keine Auskunft geben, schließlich ist er als Ischgler mit der Gemeinde solidarisch. Aber so viel ruft er doch ins Telefon: In seiner Praxis gebe es solche Verletzungen kaum, da könne er nichts Aufregendes berichten.
Auch ein Mitarbeiter vom Roten Kreuz sagt, er könne eine Verletzungsgefahr durch Stöcke, Snowboards oder Skier im abgeschnallten Zustand nicht bestätigen. Er ist darum bemüht, seinen Namen nicht in den Medien zu finden, er wolle den "Tumult", den die Meldung ausgelöst habe, nicht noch verstärken. Ohnehin sei die Sache ja wohl weniger vom Gemeinderat ausgegangen als von den Hoteliers und dem Tourismusverband: "Wenn die ganze Nacht Besoffene in Skistiefeln durch den Ort klappern und dabei herumgrölen, beschweren sich die anderen Gäste, die viel Geld für ihren Urlaub gezahlt haben und nicht schlafen können."
Die Mischung als Lokalwechseln und Alkohol macht der Gemeinde zu schaffen
Und tatsächlich: Wer die "Gästeinformation" weiterliest, stößt auf den eigentlichen Grund der Maßnahme: Skischuhe verursachten auf den Straßen eine "hohe Lärmbelästigung, die eine Störung der Nachtruhe nach sich zieht". Bürgermeister Kurz bestätigt, dass man gemeinsam mit Tourismusverband und Liftbetreibern nachgedacht habe, wie man diesen Tumult vermindern könne. Viele Skifahrer kehrten nach der Abfahrt vom Berg direkt in Kneipen und Bars ein, in den "Kuhstall" etwa, der in der Nähe der Seilbahn liegt, und zögen dann lautstark weiter, "zum Beispiel zum Burger King in der Ortsmitte".
Es ist also die Mischung aus Lokalwechseln und Alkohol, die der Gemeinde zu schaffen macht, oder, vulgo: saufende und grölende Touristen, die nachts in Skimontur durch die Gassen ziehen. Und die, wenn sie blau sind, ihre Ski oder Stöcke bei einer Rangelei als Waffe benutzen.
So platt würde es Bürgermeister Kurz natürlich nie formulieren; er bleibt höflich und zurückhaltend. Aber er verrät, dass der Gemeinderat nicht nur die Polizei, sondern auch eine private Security-Firma damit beauftragt habe, nachts für mehr Ruhe zu sorgen. Es gebe da eine zweite Verordnung: Lärmbelästigung sei eine Ordnungswidrigkeit und werde in Zukunft bestraft.
Einerseits will man mehr Ruhe, andererseits wirbt man mit "Hüttengaudi XXL"
Für andere Skiorte dürfte das Skischuhverbot erst einmal kein Vorbild sein. Ein Mediendienst meldet zwar, dass Schweizer Versicherungen die Idee unterstützten, weil damit das Sturzrisiko eingedämmt werden könne. Aber die Sprecherin der Weiße-Arena-Gruppe zum Beispiel, welche die Skiorte rund um Laax vermarktet, argumentiert, ihr Dorf liege nun mal nicht gleich bei der Talstation. Die Leute gingen also erst mal nach Hause, sich umziehen, bevor sie auf leisen Sohlen zurück in den Ort kämen.
Wahrscheinlich hätte die Gemeinde Ischgl ein Alkoholverbot zwischen acht Uhr abends und sechs Uhr morgens erlassen müssen, um wirklich Ruhe zu kriegen, aber das wäre wohl bei Hoteliers und Gästen gleichermaßen nicht durchsetzbar gewesen. Außerdem wird ja nach wie vor gleichzeitig heftig für heiße Après-Ski-Partys geworben, ohne die auf dem Berg und im Tal offenbar nirgendwo mehr etwas geht: "Hüttengaudi XXL" und "Partyurlaub zwischen Schatzi und Kuhstall", "Nightlife und Après" - all das ist nach wie vor im Angebot.
Bleibt ein Trost: Wenn man sich zwischen Hotel oder Bar und Auto bewegt, bleibt das Tragen von Skistiefeln straffrei - allerdings nur auf einer Strecke von maximal zehn Metern. Übrigens rät die Gemeinde: nicht lärmen, sondern ein Taxi rufen. Vielleicht steckt ja die Taxi-Innung hinter dem Projekt. So oder so. In Ischgl bekommt das Motto, mit dem das Dorf um Touristen wirbt, eine ganz neue Konnotation: "Relax. If you can ..."