Interview am Morgen: Tinder im Museum:"Der Grabstein ist ein bisschen forsch"

Interview am Morgen: Tinder im Museum: Christiane Lindner, 37, ist am Badischen Landesmuseum unter anderem für die Entwicklung einer Digitalplattform zuständig.

Christiane Lindner, 37, ist am Badischen Landesmuseum unter anderem für die Entwicklung einer Digitalplattform zuständig.

(Foto: Badisches Landesmuseum/Badisches Landesmuseum)

Wie bei Tinder: Das Badische Landesmuseum in Karlsruhe lockt Besucher künftig mit einer Dating-App für Museumsobjekte.

Interview von Sandra Belschner

Noch haben die Museen zu, doch wenn das Badische Landesmuseum in Karlsruhe wieder öffnet, soll man dort tindern können. Mit Museumsobjekten. Wegwischen, was nicht gefällt. Anklicken, was interessant aussieht. Mit der neuen App, die derzeit noch im Test ist, sollen Museumsbesucher und -besucherinnen dann Kontakt zu Ausstellungsobjekten aufbauen können. Christiane Lindner ist eine der Verantwortlichen.

SZ: Frau Lindner, warum bitte soll ich mit 80 Museumsobjekten tindern?

Christiane Lindner: Weil es total Spaß macht! Es ist wie bei der Dating-App! Unsere Ausstellungsstücke werden den Nutzern vorgeschlagen und man kann sie entweder nach links oder nach rechts wischen. Links bedeutet, man hat kein Interesse an dem Objekt, und rechts zeigt, dass man sich dafür interessiert. Sobald man ein Match hat, beginnt der Austausch mit dem Museumsobjekt. Dafür haben wir eigens Dialoge entwickelt und den Exponaten Charaktereigenschaften gegeben. Wenn man dann ein bisschen miteinander geschrieben hat, kommt irgendwann der Moment, wo man vom Objekt ins Museum eingeladen wird, um es sich genauer anzusehen.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Das heißt: Der Museumsbesucher oder die Museumsbesucherin liegt daheim auf dem Sofa, wischt ein bisschen durch die App und wird dann von dem Kunstobjekt eingeladen?

Ja genau. Oder man lädt sich die App direkt im Museum runter und legt los. Am Anfang steht das Foto. Außerdem hat jedes Objekt eine Phrase, mit der es sich vorstellt. Und es wird dem Nutzer angezeigt, um welches Ausstellungsstück es sich handelt und wo es steht. Also eine Tonschale, eine Steinskulptur oder Ähnliches.

Früher nannte man das einfach Museumsführer.

Unsere App ist zeitgemäßer. Sie bietet einen persönlich-emotionalen Zugang. Und die Phrasen können sehr unterschiedlich sein. Beispielsweise sagt ein Objekt nur "Stillgestanden", ein Trinkgefäß wiederum sagt "Ich fühle mich so leer". Da kommt es auch immer ein bisschen auf die Sprache der Autoren an, die diese Dialoge geschrieben haben. Übrigens gehört die Phrase "Stillgestanden" zu einem Grabstein eines römischen Centurios.

Ich tindere dann also mit einem Befehle erteilenden Grabstein.

Das ist natürlich etwas außergewöhnlich, weckt aber gleichzeitig Interesse. Wer beginnt schon ein Gespräch mit "Stillgestanden"? Viele Nutzer sind dann vielleicht verwirrt und antworten mit "Was soll denn das?" oder "Rede nicht so unhöflich mit mir". Die Objekte sind eben richtige Charaktere und der Grabstein ist ein bisschen forsch. Dann beginnt er ein bisschen was Geschichtliches zu erzählen. Und dann wird der Nutzer irgendwann eingeladen, sich den Grabstein aus der Nähe anzuschauen.

Das erste Date sozusagen.

Genau. Hat man ihn im Museum gefunden, erhält man eine Nachricht: "Achtung, Augen geradeaus, Haltung einnehmen, stillgestanden". Dann muss der Nutzer ein paar Fragen beantworten. Wenn er die Antwort auf eine Frage nicht weiß, kann es auch passieren, dass er die Nachricht "Jetzt 100 Liegestützen!" erhält.

100 Liegestützen? Vor einem Grabstein im Museum?

Das Schöne an der App ist, dass man damit das Museum völlig neu erleben kann. Objekte geben Tipps, brauchen unsere Hilfe oder laden zum Nachdenken ein. Bei einem perfekten Match lernt der Museumsbesucher besonders viel über sie. Und am Ende des Gesprächs kann der Besucher ein Foto machen und es in seine Foto-Sammlung aufnehmen.

Aha. Und was passiert mit Kunstwerken, bei denen oft nach links gewischt wird. Werden die dann bald eingemottet?

Ja, darüber haben wir schon nachgedacht! Man kann die Erfolge der Objekte messen, so ist die App programmiert. Wir glauben aber, dass das ganz ausgeglichen sein wird. Manche Objekte sprechen erfahrene Kunstinteressenten an, andere sind eher für Kinder bestimmt. Außerdem merkt sich die App die Vorlieben und kann darauf reagieren.

Und was passiert, wenn mir der Grabstein einen Korb gibt?

Richtig, auch unsere Kunstobjekte können das Match auflösen oder den Dialog abbrechen. Zum Beispiel, wenn sich der Besucher unhöflich verhält. Wie im echten Leben halt auch. Aber es bleiben ja immer noch 79 andere Objekte für ein neues Gespräch. Ich zum Beispiel habe über die App mein Lieblingsexponat gefunden: Eine mörderische Handspielpuppe.

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