Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:Streit um die Brieftaube

Beutegreifer und Erschöpfungstod. Das "Brieftaubenwesen" berge zu viele Gefahren für die Vögel, finden Tierschützer. Kulturerbe soll es deshalb nicht werden. Züchter sehen das naturgemäß anders.

Von Martin Zips

Im Tierheim Böblingen haben sie dieser Tage die deutschlandweit erste Krankenstation für verletzte Tauben eingerichtet. So ein Taubenleben steckt voller Gefahren. Von Menschen werden die Tiere als "Ratten der Lüfte" bezeichnet, unfruchtbar gemacht, vergiftet und vertrieben.

Da ist es gut zu wissen, dass der Deutsche Tierschutzbund nach Kampagnen für Wölfe, Kojoten und Zirkuslöwen mit seiner neuen Aktion "#RespektTaube" für die Wertschätzung auch dieses Lebewesens eintritt. Zugleich warnt der Verband dringend davor, das "Brieftaubenwesen" ins deutsche Unesco-Verzeichnis des Immateriellen Weltkulturerbes aufzunehmen. Warum eigentlich?

Jährlich komme es "zu Verlusten von Hunderttausenden Brieftauben sowohl bei der Zucht als auch während und nach den Wettkämpfen", mutmaßt Tierschutzbundpräsident Thomas Schröder in einem Brief an die Deutsche Unesco-Kommission. Brieftauben müssten auf Wettbewerben Distanzen von "über 1000 Kilometern" zurücklegen, vorbei an "Beutegreifern, Windrädern oder Strommasten". Viele von ihnen schafften es vor Erschöpfung nicht zurück - oder verendeten als Stadttauben. Der Tauben-Sport sei damit alles andere als von der Unesco schützenswert. Bis Anfang Dezember möchte die UN-Organisation nun entscheiden.

Der Tierschutzbund hat einen Vogel, lautet - vereinfacht gesagt - die Reaktion des Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter auf das Schreiben der Tierschützer. Im Brieftaubenwesen spiele Tierschutz "eine zentrale Rolle", versichert Sprecherin Elena Finke. Das sei ja auch klar, denn nur eine gesunde, gut gepflegte Taube kehre wieder gerne in ihren Taubenschlag zurück. Dass Brieftauben zu Stadttauben mutieren könnten, sei jedenfalls grober Unsinn. Ebenso die Unterstellung, Hunderttausende stürben innerhalb nur einer Flug-Saison.

Polarisiert hat der zuckende Vogel schon immer

Jahrtausendelang stellten Tauben die schnellste Möglichkeit der Nachrichtenübermittlung dar, schon die Sumerer machten sich ihr Naturell zunutze. Im Jahr 1815 war es eine Brieftaube, die die Nachricht vom britischen Sieg über Napoleon bei Waterloo sofort unter die Leute brachte, auch erste Nachrichtenagenturen starteten mit den Vögeln ihren Dienst. Doch die Beziehung zwischen Mensch und Tier, sie hat sich verändert. Heute wird darüber diskutiert, ob man Kindern überhaupt noch vom Schlaraffenland erzählen darf, wo den Bewohnern "gebratene Tauben" in den Mund fliegen.

Natürlich: Polarisiert hat der zuckende Vogel schon immer. Manche sehen in ihm eine schöne Frau (Hohelied 2,14), andere ein eher argloses Wesen (Matthäus 10,16) und häufig ist einem der Spatz in der Hand ohnehin lieber. In Japan gelten Tauben als Symbole des Kriegsgottes Hachiman, in Indien als Todesboten und bei den Kirchenvätern als Träger göttlicher Inspiration. Da dürfte der Unesco die Entscheidung übers deutsche Brieftaubenwesen wirklich nicht leichtfallen.

Der Papst hat übrigens vor einiger Zeit verfügt, dass beim Angelus-Gebet nicht mehr Tauben, sondern nur noch Luftballons in den Himmel steigen sollen. Grund war die brutale Attacke einer Krähe auf eine Friedenstaube über dem Petersplatz. Aber bitte, das soll jetzt wirklich nicht krähenfeindlich klingen.

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SZ vom 07.11.2018/dit
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