Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:Sprechen Sie Walisch?

Ein Forscher hat ein neues Gerät entwickelt, das Schweinswale vor Fischernetzen warnen soll. Dumm nur, dass die Tiere unterschiedliche Dialekte sprechen und nicht jedes von ihnen die Signale versteht.

Von Thomas Hahn, Eckernförde

Lorenz Marckwardt hielt eine Granate in der Hand. So zumindest nannte der Vorsitzende des schleswig-holsteinischen Fischereiverbandes das spindelförmige Gerät, das er und der grüne Umweltminister Robert Habeck im Ostsee-Infocenter von Eckernförde der Öffentlichkeit vorstellten. Auch als "Geschoss" bezeichnete Marckwardt den sogenannten PAL (Porpoise Alert), weil der beim Aufrollen der Stellnetze mit Tempo aus dem Wasser flutschen könne. Tatsächlich aber traf er damit überhaupt nicht den Charakter des Apparats, der nämlich in Wirklichkeit der letzte Schrei des Schweinswalschutzes ist. Habeck und die Fischereiverbände verlängerten in Eckernförde die freiwillige Vereinbarung für eine naturverträgliche Stellnetzfischerei bis Ende 2022. Und der Einsatz des PAL ist ein spektakulärer Zusatz zur Vereinbarung - denn das Gerät kann zu Walen sprechen.

Der Schweinswal ist der König der Ostseetiere, der einzige Säuger aus der Ordnung der Wale, der auch an Schleswig-Holsteins Ostküste heimisch ist. Er ist nur ein kleiner Wal, zwischen 1,5 und 2,5 Metern lang, nicht zu vergleichen mit Artgenossen wie dem Pottwal (20 Meter) oder dem Blauwal (33). Trotzdem ist er ein Wal. Kein gewöhnlicher Massenfisch also, der in Schwärmen durchs Meer gleitet. Sondern ein Charakterkopf unter den Ostseebewohnern, streng geschützt durch die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Wenn er sich im Fischernetz verfängt, ist das eine besonders eindringliche Mahnung an den Menschen, etwas zu ändern.

Also macht der Mensch das, und am Beispiel des PAL aus der Ideenwerkstatt des Kieler Meeresbiologen Boris Culik kann man sehen, wie erfindungsreich er dabei vorgeht. Mit den Walen über die Gefahren der Fischerei zu reden, ist im Grunde ein naheliegender Einfall. Allerdings schwer umzusetzen, wenn man ihre Sprache nicht kennt, und genau hier liegt der Trick der PAL-Apparate. Sie übersetzen sozusagen den Warnruf "Achtung Fischernetz" ins Schweinswalische. Genauer gesagt erzeugen sie einen Laut, durch den Schweinswale ihre Schwimmrichtung ändern.

Wissenschaftler in Kerteminde, Dänemark, erforschten 2010 mit Ultraschall-Messgeräten die Ausdrucksweise von vier Schweinswalen, die sie aus Netzen befreit hatten. "Sie identifizierten dabei fünf verschiedene Laute", sagt Culik. Er beschreibt diese Laute als eine Abfolge von Klicks. Wenn Schweinswale eine bestimmte Abfolge dieser Klicks hörten, wandten sie sich ab. Mit dieser Erkenntnis entwickelte Culik jenen programmierbaren, synthetischen Klickgenerator namens PAL, der per Zufallsprinzip immer wieder Zyklen der 1,3 Sekunden langen Schweinswal-Signale aussendet. Das Thünen-Institut für Ostseefischerei testete das Gerät zwischen 2014 und 2016 mit drei Fischern. Ergebnis: In Netzen mit PAL verfingen sich um 71 Prozent weniger Wale als in Netzen ohne. Jetzt erprobt das Ostsee-Infocenter in Eckernförde die Schallquelle mit Geld aus dem europäischen Fischerei-Fonds. An 81 Fischer hat es bisher 1550 Geräte ausgegeben.

Boris Culik arbeitet daran, die Software weiterzuentwickeln. "Ein mühsames Unterfangen." Die Sprache der Schweinswale ist nicht einfach, das PAL-Gerät wird noch nicht in der ganzen Schweinswalwelt verstanden. Männliche isländische Schweinswale reagieren nicht darauf, sie klicken mit einem anderen Dialekt. Nach dem will Culik zunächst bei Versuchen in Delfinarien fahnden, ehe er die passenden Kommunikationslaute im Freiland testen kann. Man könnte sagen: Er forscht im Sprachlabor für Schweinswale.

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SZ vom 19.07.2018/fzg
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