SZ-Serie „Ein Anruf bei …“:„Bei uns fließt kein Tropfen Blut!“

Lesezeit: 3 Min.

Achtung, dieser Hahn ist quicklebendig. Wenn ein Tier beim „Hahneköppen“ enthauptet wird, ist es allerdings bereits tot, das verlangen die Regeln. (Foto: Udo Herrmann/Imago/Herrmann Agenturfotografie)

„Hahneköppen“ hat Tradition im Bergischen Land – und entsetzt Tierschützer. Jetzt verbietet das Land NRW, Tiere fürs Brauchtum zu töten. Wolfgang Müller, Chef vom Hahneköpp-Verein „Haut ihn“ 1929 in Solingen, empört diese Begründung.

Interview von Christian Wernicke, Düsseldorf

Der „Hahneköpper“ klingt am Telefon gelassen. Zunächst jedenfalls. Wolfgang Müller, 57 Jahre alt, ist Kritik gewohnt: Der Vorsitzende des Hahneköpp-Verein „Haut ihn“ 1929 in Solingen pflegt ein Brauchtum, bei dem alljährlich einem toten Hahn mit einem Schwert der Kopf abgeschlagen wird. Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) will das verbieten. Müller hält das für bürgerferne Unkenntnis.

SZ: Herr Müller, was treibt erwachsene Menschen dazu, sich die Augen zu verbinden und einem toten Hahn, der in einem Korb über ihnen hängt, den Kopf abschlagen zu wollen?

Wolfgang Müller: Diese Frage wird mir öfter gestellt. Dazu müssen Sie verstehen, wie man hier aufwächst in den kleinen Dörfern im Bergischen Land: Hahneköppen ist eine Tradition aus dem 15. oder 16. Jahrhundert, ich kenne das seit meinem dritten oder vierten Lebensjahr. Das gehört zu uns – und zu unseren Festen kommen Hunderte Menschen. Damit wollen wir nicht brechen.

Klingt, als wäre Hahneköppen im Bergischen Land so etwas wie Stierkampf in Spanien.

Da ist, was die Tradition angeht, etwas dran. Aber Stierkampf ist ein brutaler Angriff auf ein lebendes Tier. Das machen wir nicht. Wir haben strenge Regeln, um unsere Tradition mit dem Tierwohl in Einklang zu bringen. Die haben wir auch mit der Stadt Solingen vereinbart. Kein Hahn wird getötet, um ihn für unser Brauchtum zu nutzen. Wir nutzen nur Hähne, die ohnehin getötet werden würden.

Hält wenig davon, Attrappen statt echter Hähne zu nutzen: Wolfgang Müller aus Solingen. (Foto: Privat)

Also alte oder kranke Tiere?

Genau. Das müssen wir strikt nachweisen, und das Tier muss von einem ausgebildeten Fachmann – einem Schlachter oder Jäger – getötet werden. Nach der Veranstaltung wird das Tier zu einem Tierpark gefahren, wo es sachgerecht verfüttert wird. Auch das weisen wir nach, schwarz auf weiß. Die Stadt Solingen akzeptiert dies seit Jahren – aber die Stadt ist jetzt leider vom NRW-Landwirtschaftsministerium überstimmt worden.

Das Ministerium argumentiert, Sie würden gegen das Tierschutzgesetz verstoßen: Brauchtums-Veranstaltungen seien „kein vernünftiger Grund“, ein Tier zu töten.

Diese Argumentation ist schlicht falsch. Noch einmal: Für uns muss kein Hahn sterben, wir sind für den Tod des Tieres nicht verantwortlich. Das Tier würde eh geschlachtet. Der Hahn ist tot, egal ob wir den Kadaver für unser Brauchtum zwischennutzen.

Was passiert dieses Jahr mit dem Hahn, den Sie schon ausgesucht hatten?

Wir haben den Hühnerzüchter inzwischen abgesagt. Und was ist passiert? Der Züchter hat den alten Hahn sofort getötet, das Tier ist also wegen des Verbots noch zehn Tage früher ums Leben gekommen - und im Müll gelandet. Das ist doch absurd! Wir hingegen haben in den vergangenen Jahren nach jedem Fest sichergestellt, dass das tote Tier verfüttert wird, etwa in einem Tierpark. Politiker aus unserer Region verstehen das alles. Aber auf die hört Düsseldorf bisher nicht.

Tierschützer werfen Ihnen vor, Sie würden ein totes Tier für „blutige Rituale“ missbrauchen und jedes Jahr „ein trauriges Spektakel“ veranstalten.

Bei uns fließt kein Tropfen Blut. Der Hahn wurde ja vorher fachkundig ausgeblutet. Ich respektiere jede Meinung zu unserer Tradition, auch Unverständnis. Aber mir scheint: Mittlerweile leben wir in einem Land, wo Meinungen von extremen Minderheiten immer wieder nachgegeben wird. Und dann wird über die große Mehrheit der Bürger hinweg entschieden.

Tierschützer sagen auch, Hahneköppen könne Kinder zutiefst verschrecken.

Ich bitte Sie! Diese Kinder sehen im Fernsehen, wie Küken geschreddert werden. Und jeden Tag erleben sie Krieg und Leid in den Nachrichten. Wo ist da das Verhältnis? Nein, unsere Kinder wachsen mit der Tradition auf, so wie ich selbst damit groß geworden bin. Keines dieser Kinder muss anschließend zum Psychologen. Im Gegenteil, wir kümmern uns um die Kids bei unseren Festen – mit Spielen, mit Luftballon-Wettbewerben, mit einem Clown. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, wir spenden für soziale Zwecke, wir bringen Alt und Jung in unserem Ort an einen Tisch.

Bisher hat Ihr Verein nur Männer als Mitglieder – warum?

Das hat sich historisch so entwickelt. Unser Verein wurde vor 95 Jahren gegründet, damals gab es noch reine Männervereine. Unsere Satzung erlaubt ausdrücklich auch Frauen als Mitglieder. Nach einem Probejahr kann jede und jeder mitmachen, unabhängig von Geschlecht, Nationalität oder Religion.

Für den 18. August planen Sie das nächste große Hahneköppen-Fest. Nutzen Sie da eine Attrappe aus Plastik?

Darum hatten wir uns längst bemüht, wir wussten ja um die Bedenken im Ministerium. Also haben wir andere Vereine gefragt und etwa einen Hahn aus Gummi getestet. Also solche Dinger, wie sie der Sänger Gottlieb Wendehals früher bei seinen Auftritten benutzte. Nur: Damit geht kein Hahneköppen. Entweder fällt der Kopf des Gummihahns nie ab, auch nicht, wenn er mit dem Säbel voll getroffen wird. Oder er fällt, wenn sie den Hals anritzen, schon beim ersten leichten Schlag. Ein anderer Verein verwendet eine Attrappe aus Leder, Watte und Stoff, vielleicht können wir die ausleihen. Wir suchen noch.

Kein Hahn, keine Attrappe – das heißt: In diesem Jahr gibt es bei Ihnen kein Hahneköppen?

Nein, und das ist eine tiefe Enttäuschung. Wir halten uns in jedem Fall an geltendes Recht. Aber wir haben einen Rechtsanwalt beauftragt, gegen das Verbot des Ministeriums vor Gericht vorzugehen. Für das Fest in diesem Jahr war dafür die Zeit zu knapp, aber wir wollen Rechtssicherheit für die Zukunft. Dieses Jahr bieten wir als kleinen Ersatz eine Art Wettnageln an. Das ist zwar schade, aber daran wird unser Verein nicht zugrunde gehen.

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