Tierschutz:Stubentigerarrest

Tierschutz: Die Walldorfer Katze Mimi vor ihrer verschlossenen Katzenklappe. Bis Ende August herrscht in der Stadt südlich von Heidelberg noch Stubenarrest.

Die Walldorfer Katze Mimi vor ihrer verschlossenen Katzenklappe. Bis Ende August herrscht in der Stadt südlich von Heidelberg noch Stubenarrest.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Ausgangssperre und elektronische Pfotenfesseln: Die Stadt Walldorf will Katzen davon abhalten, die vom Aussterben bedrohte Haubenlerche zu jagen. Nun streiten Tierfreunde darüber, was wichtiger ist: Vogelschutz oder Freiheit für Hauskatzen?

Von Titus Arnu

Die zentrale Frage im Leben einer Katze lautet: rein oder raus? Große Teile ihres Daseins verbringt sie vor der Haustüre, mal drinnen, mal draußen hockend, und kann sich jeweils nicht entscheiden, wo sie hinwill. Vielleicht ist die Katze in einer Logikschleife gefangen und sinniert über den philosophischen Begriff der Freiheit im Sinne Martin Heideggers: "Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens." Vielleicht hat sie aber auch nur einen Hau.

Katzenfans behaupten, dieses undurchschaubare Verhalten sei ein Ausdruck von Intelligenz und Unabhängigkeit. Hundefans dagegen sagen, Katzen seien zu arrogant, um einfache Befehle wie "Komm" und "Aus" zu befolgen. Man kann einer Katze "Bleib!" und "Fuß!" zurufen, aber man darf nicht erwarten, dass sie sich irgendwie darum schert, was man von ihr will. Im Gegenteil, sie zeigt einem wahrscheinlich den Vogel - und tut anschließend, was ihr in den Katzenkram passt.

Apropos Vogel: Katzen bekommen von ihrem Personal feinstes Dosen- und Trockenfutter serviert, können aber trotzdem das Jagen nicht lassen. Grobe Schätzungen gehen laut Naturschutzbund davon aus, dass 14 Millionen Hauskatzen in Deutschland für 200 Millionen getötete Vögel pro Jahr verantwortlich sind. Das ist vor allem dann dramatisch, wenn eine Vogelart vom Aussterben bedroht ist. So etwa die Haubenlerche, deren Bestand in Europa stark gefährdet ist. Dieser kleine unauffällige Vogel ist ein Bodenbrüter. Wenn die Jungvögel schlüpfen, sind sie eine leichte Beute.

Tierschutz: Gefundenes Fressen: Die Haubenlerche gilt als gefährdet - aber nicht nur wegen umherstreifender Katzen.

Gefundenes Fressen: Die Haubenlerche gilt als gefährdet - aber nicht nur wegen umherstreifender Katzen.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

In Walldorf im Rhein-Neckar-Kreis wurde deshalb eine drastische Maßnahme zugunsten der bedrohten Vögel beschlossen: eine Ausgangssperre für Katzen. Das Landratsamt hat angeordnet, dass diese von April bis August nicht durch das Brutgebiet der Haubenlerchen südlich des Ortes streifen dürfen - es sei denn, sie werden an die kurze Leine genommen oder bewegen sich nachweisbar nicht in Bereichen, wo sie zur Gefahr für die Vögel werden können. Verstöße ahndet die Behörde mit einem Zwangsgeld von 500 Euro.

Der bundesweit einzigartige Katzen-Lockdown wirft neben praktischen Problemen (müssen Katzenklappen zugenagelt werden?) auch tierethische Fragen auf. Was wiegt schwerer, der Schutz einer vom Aussterben bedrohten Vogelart oder der Freiheitsdrang von Katzen? Zwei Katzenbesitzer aus Walldorf haben gegen den Stubenarrest für die Stubentiger Widerspruch eingelegt - mit Erfolg. Das Landratsamt hat zwei Anträge geprüft und Ausnahmegenehmigungen erteilt. Die Katzenhalter dürfen ihre Tiere nun wieder ins Freie lassen, wenn sie ihnen elektronische Pfotenfesseln anlegen. Jeder Freigang muss mit Hilfe eines GPS-Trackers überwacht werden, die Daten werden wöchentlich an die Untere Naturschutzbehörde übermittelt.

Tierschutz: An einem Mülleimer im Haubenlerchen-Brutgebiet bei Walldorf hängt eine Protestnote aus Steckperlen.

An einem Mülleimer im Haubenlerchen-Brutgebiet bei Walldorf hängt eine Protestnote aus Steckperlen.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Die Regelung gilt für das Jahr 2022 und könne jederzeit widerrufen werden, teilt das Landratsamt mit. Tierfreunde haben deswegen längst die Krallen ausgefahren. Der Deutsche Tierschutzbund kritisiert die Maßnahme als unverhältnismäßig und nicht tierschutzgerecht, das Katzen-Ausgehverbot entbehre zudem jeder wissenschaftlichen Grundlage, wie der Verband in einem juristischen Gutachten darlegt. Der negative Einfluss von Katzen auf die Bestände von Singvögeln sei umstritten, und es sei nicht einmal bekannt, wie viele Haubenlerchen es aktuell in Walldorf gebe. Andererseits wurden dort Bauvorhaben in potenziellen Revieren der Haubenlerche genehmigt - am Rückgang der Zahl der Bodenbrüter ist jedenfalls auch die Zersiedelung schuld.

Gegen die Verfügung, die Katzen per GPS überwachen zu müssen, wurden bereits 43 Widersprüche eingelegt. Die Besitzer führen an, dass sich die Tiere wegen der Freiheitsberaubung auffällig verhielten und insbesondere nachts unruhig seien. Katzen-Kritiker würden einwenden, dass das Verhalten von Katzen auch bei Tag recht widersprüchlich und schwer zu kontrollieren sei. Aber möglicherweise liegt das vor allem an der Einstellung der Menschen, wie eine Wissenschaftlerin der Oregon State University herausfand. Das dreiste Verhalten von Katzen liege nicht einfach in ihrer Natur, so die Verhaltensforscherin Kristyn Vitale. Die Tiere spiegeln laut der Untersuchung nur das soziale Verhalten der Menschen wider.

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