Zwei Männer und eine Frau begehen Hausfriedensbruch und werden dafür von der Justiz belobigt - so ist es geschehen an diesem Mittwoch in Magdeburg, wo das Landgericht als Berufungsinstanz einen Freispruch des Amtsgerichts Haldensleben bestätigte. Das Handeln der Angeklagten sei nicht nur zu rechtfertigen, es sei ausdrücklich zu begrüßen, sagte der Vorsitzende Richter Ulf Majstrak in seiner Urteilsbegründung.
Weitgehend unstrittig war in beiden Verfahren der Hergang der zu verhandelnden Strafsache. Zwei Männer verschafften sich demnach im Sommer 2013 nachts Zugang zu einer Schweinemastanlage in Sandbeiendorf im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt. Sie kamen in Einwegkleidung und mit desinfizierten Kameras, um die Anlage nicht zu verunreinigen und auch keine Keime einzutragen. Ziel der Tierschützer war es, jene Zustände zu filmen, von denen eine Informantin ihnen vorher berichtet hatte.
Und zu filmen gab es offensichtlich eine Menge: Die Käfige für Eber waren zu schmal, die Spalten im Boden der Gehege zu breit, die Trinkwasserversorgung mangelhaft. Einige Tiere waren verletzt, andere bereits tot. Weil sich die Nacht als zu kurz erwies, um alle Bereiche der mehr als 60 000 Tiere zählenden Zucht- und Mastanlage zu filmen, fuhren einer der Männer sowie eine Frau später ein zweites Mal zu dem Betrieb und brachen ein zweites Mal dessen Hausfrieden.
Dass von Frieden in diesem Haus aber gerade nicht die Rede sein konnte, war zentrales Argument der Angeklagten und ihrer Verteidiger. Das Leid der Tiere sei unbestreitbar und bleibe seit Jahren von deutschen Behörden unbeanstandet. Einer der Angeklagten führte am Mittwoch aus, er habe in 25 Jahren Tierschutz die Erfahrung machen müssen, dass gegen solche Widrigkeiten am Ende nur Videoaufnahmen und in der Folge öffentlicher Druck etwas bewirken könnten.
Exklusiv Rechtsgutachten:Schweinehaltung in Deutschland soll gegen Tierschutzgesetz verstoßen
Zu diesem Schluss kommt ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Gutachten. Mangels besserer Gesetzgebung müssten die Tiere leiden, ihre Klauen seien oft wund.
Darin bestand die alltagssprachliche Variante des in Paragraf 34 Strafgesetzbuch formulierten "rechtfertigenden Notstands": Wer eine Tat begeht (etwa Hausfriedensbruch), um Gefahr von anderen (etwa Schweinen) abzuwenden, darf dies unter zwei Bedingungen tun. Im Widerstreit der Interessen muss das eine Rechtsgut (Tierwohl) das andere (Hausfrieden) "wesentlich überwiegen" - und die Tat muss zudem ein "angemessenes Mittel" darstellen, die Gefahr abzuwenden.
Auf Leid und Unrecht aufmerksam machen
An dieser Stelle nun versuchte die Staatsanwaltschaft argumentativ Zugriff zu bekommen - das Filmen dokumentiere die Gefahr lediglich, statt diese zu beseitigen. Zudem müsse die Frage gestellt werden, ob selbst ein zweiter Einbruch durch den genannten Paragrafen gedeckt sei.
Dieser Argumentation konnte Majstrak "eher nicht" folgen. Es sei nicht Aufgabe der Tierschützer, auch noch einen Arzt mitzubringen oder die zu kleinen Käfige zu weiten. Die Kammer teile vielmehr die Ansicht, dass Einbruch und Dokumentation ein geeignetes Mittel dargestellt hätten, um eine Grundlage zu schaffen für eine Strafanzeige gegen den Betreiber der Anlage. Wenn Veterinärämter und andere Organe der Landkreise ihrer Arbeit nicht nachkämen, dann sei "das Engagement des einzelnen Bürgers gefragt".
Es ist das erste Mal, dass Tierschützer in dieser Konstellation von einem Landgericht freigesprochen werden. Dass es diesen Freispruch geben kann, liegt nicht zuletzt an den Angeklagten selbst. Zum Zwecke einer grundsätzlichen Klärung stellten sie sich und ermöglichten so das Verfahren. Erasmus Müller, einer von ihnen, sagte nach dem Urteil, seine Mitstreiter und er versuchten "mit dem Prozess zu zeigen, dass deutsche Behörden systematisch ihre Arbeit nicht machen".
Unhaltbare Zustände in Zucht- und Mastbetrieben würden von heillos unterbesetzten Behörden geduldet - während Bevölkerung und Rechtsprechung in der Regel davon ausgingen, dass Veterinärämter die Einhaltung der ohnehin geringen rechtlichen Vorgaben schon sicherstellen würden. Es gehe ihm, sagte Müller, auch darum zu zeigen, dass jeder Einzelne etwas tun könne. Ein Hausfriedensbruch sei keine Bagatelle, doch gebe es nur schwache gesetzmäßige Optionen, auf Leid und Unrecht aufmerksam zu machen. Müller fordert deswegen ein Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen in allen Bundesländern. Davon abgesehen sei es in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, dass nur ziviler Ungehorsam auf Dauer gesellschaftlichen Fortschritt ermöglicht habe.