Calulo (dpa) – Eifrig schnüffelnd flitzt Baraka über ein Stoppelfeld. Er kann nicht gut sehen, dafür ist sein Geruchssinn extrem gut ausgeprägt. Denn Baraka, eine Riesenhamsterratte, hat einen wichtigen Job: Er soll vergrabenen Sprengstoff finden.
Während der Arbeit ist der Nager in ein kleines Geschirr gespannt, das über einen Draht mit einer langen Leine verbunden ist. An deren gegenüberliegenden Enden steht jeweils ein in Minen-Schutzausrüstung gekleideter Tierführer. Denn Baraka läuft über ein Gebiet, in dem möglicherweise Landminen vergraben sind.
Da hat die Ratte auch schon etwas gefunden. Sie bleibt stehen, schnüffelt intensiv, kratzt die Erde etwas auf. Das ist das Zeichen, dass Baraka eine Mine entdeckt hat, erklärt Raul Ilidio, der menschliche Arbeitspartner der Ratte. Am Rande des Feldes werden nummerierte Schildchen aufgestellt, um die Position des Sprengstoffs zu markieren. Jetzt wissen menschliche Minenräumungsexperten genau, wo sie entschärfen müssen.
Baraka ist eine von aktuell zwölf Riesenhamsterratten, die der belgischen Organisation Apopo in Angolas Kwanza Sul Provinz beim Räumen von Landminen helfen, die während des 27-jährigen Bürgerkriegs (1975 – 2002) gelegt wurden. „Heldenratten“ werden sie genannt, denn die Nagetiere retten buchstäblich Leben im Nachkriegsland Angola, eins der Länder mit den meisten Landminenopfern pro Jahr weltweit. Seit dem Bürgerkrieg wurden in dem 36-Millionen-Einwohner-Land im südlichen Afrika mehr als 88 000 Verletzungen durch Landminen gemeldet. Die tatsächliche Zahl liegt nach Angaben des internationalen „Landmine Monitor“ vermutlich wesentlich höher.
Kein Monat ohne neue Opfer
Die Welt wurde auf den Notstand in Angola erstmals Ende der 1990er Jahre aufmerksam, als die britische Prinzessin Lady Diana das Bürgerkriegsland besuchte und in Schutzkleidung durch ein Minenfeld lief. Die Bilder gingen um die Welt und regten eine globale Debatte an. Doch für Angola kam die Aufmerksamkeit zu spät.
Wenn die Minen erst einmal vergraben sind, ist die Räumung schwierig, langwierig und äußerst gefährlich. Zweiundzwanzig Jahre nach Ende des Bürgerkriegs müssen laut dem jüngsten „Landmine Monitor“-Bericht in Angola noch immer knapp 70 Quadratkilometer geräumt werden. Durchschnittlich kommt das Land bislang etwa sechs Quadratkilometer pro Jahr voran. Das birgt große Gefahren für die Bevölkerung: 2022 wurden demnach 107 Menschen in Angola von Landminen getötet oder verletzt. „Es vergeht kein Monat, ohne neue Opfer“, sagt Manuel Agostinho, der Projektmanager von Apopo in Angola.
Mit den Riesenhamsterratten als Sprengstoff-Schnüffler macht Apopo jedoch gute Fortschritte. Die Nagetiere arbeiten wesentlich effektiver als Menschen. Während ein Minenexperte mit einem Metalldetektor zum Räumen von 200 Quadratmetern zwei Tage braucht und unter Lebensgefahr arbeitet, erledigt eine Ratte die gleiche Arbeit innerhalb von einer halben Stunde, erklärt Agostinho. Die Ratten sind nicht nur schnell, sie sind mit einem Gewicht von maximal zwei Kilogramm auch zu leicht, um eine Antipersonenmine auszulösen, erzählt Shaibu Hamisi, der Ratten-Trainingsexperte von Apopo. Selbst ein Spürhund wäre nicht leicht genug.
Jede Ratte, die in Minenfeldern zum Einsatz kommt, muss ein rigoroses Training durchlaufen. Zunächst werden die Nager sechs bis acht Monate geschult und im Anschluss in regelmäßigen Abständen getestet. „Der Job der Ratten ist keiner, bei dem man Fehler machen darf“, sagt Hamisi. Genauigkeit sei noch wichtiger als Schnelligkeit. Denn Fehler können Leben kosten.
Angst gehört zum Alltag
Mehr und mehr Menschen können in Angola dank der Ratten wieder sorgenfrei ihre Felder bewirtschaften oder im Wald Feuerholz suchen. Kinder können im Freien herumstreunern. Auf ein solches Maß an Sicherheit hoffen auch die Einwohner im Dorf Calulo in Kwanza Sul, um das Apopo gerade verminte Felder räumt. Denn von den Gefahren, die hier noch immer versteckt unter der Erde liegen, weiß jedes Kind im Dorf. Und fast jeder kennt eine Familie, die von einem Unfall betroffen ist.
Für Ana José Capagaio, eine alleinstehende Mutter von sieben Kindern, sind die Heldenratten jedoch zu spät zum Einsatz gekommen. Vor drei Jahren verlor die 37-Jährige ihr linkes Bein. Sie habe nur etwa 150 Meter von ihrem Haus Feuerholz gesucht, als sie auf eine Landmine trat, erzählt sie. Die Kleinbäuerin, die ihre Familie bis dahin von dem ernährt hatte, was sie anpflanzen und ernten konnte, ist froh, überlebt zu haben. Doch seit dem Unfall sind Capagaio und ihre Kinder auf Almosen angewiesen. Ihr Bruder, Joao Capagaio, erzählt, die Dorfbewohner hätten von den Landminen gewusst, aber nicht, dass es so viele seien. Jetzt beobachtet er die Fortschritte der Ratten und hofft, dass seine Kinder in Zukunft ohne die lauernde Gefahr von Landminen aufwachsen können.
Millionen von Landminen weltweit
Apopos Heldenratten kommen nicht nur in Angola zum Einsatz. Auch in anderen von Landminen verseuchten Ländern - Kambodscha, Vietnam, Thailand, Laos und Simbabwe – helfen die Sprengstoffschnüffler bei den Räumungsarbeiten. Ihre flinke Arbeit werde hoffentlich dazu beitragen, dass schneller Fortschritte in der Minenräumung gemacht werden können, hofft Agostinho. Das Ziel, bis Ende 2025 alle Minen entschärft zu haben, wird Angola jedoch nicht einhalten können.
Nach Angaben des Minenräumdienstes der Vereinten Nationen (Unmas) sind in noch 70 Ländern weltweit etwa 110 Millionen Landminen vergraben. Wenn man sie mit jeweils einem Meter Abstand aneinanderreihen würde, würden sie fast dreimal die Erde umrunden. Afghanistan, Bosnien Herzegowina, Kambodscha, Kroatien, Äthiopien und die Türkei gehören zu den Ländern mit der weitläufigsten Minenverseuchung pro Quadratkilometer. Jeden Monat werden der UN zufolge weltweit bis zu 2000 Menschen von Landminen getötet oder verletzt. Die meisten Opfer sind Zivilisten, die Hälfte davon Kinder. Laut Unmas kann eine Antipersonen-Landmine für weniger als 1 Euro produziert werden – doch es kostet zwischen 300 Euro und 1000 Euro, um diese zu entschärfen. Und vor allem viel Zeit.
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