Tierfotografie:Übärraschung

Tierfotografie: Im September 2021 machte Fotograf Dmitry Kokh dieses Bild auf der abgelegenen Koljutschin-Insel.

Im September 2021 machte Fotograf Dmitry Kokh dieses Bild auf der abgelegenen Koljutschin-Insel.

(Foto: Dmitry Kokh)

Als der Fotograf Dmitry Kokh in einem verlassenen sibirischen Dorf Zuflucht vor schlechtem Wetter sucht, muss er feststellen: Die Häuser sind doch noch bewohnt.

Von Titus Arnu

"Ich möchte ein Eisbär sein, im kalten Polar", sang die Schweizer Band Grauzone im Jahr 1980, "dann müsste ich nicht mehr schrei'n, alles wär' so klar." Aber möchte man heutzutage wirklich noch ein Eisbär sein? Wenn etwas klar ist, dann die Tatsache, dass den Tieren das Eis unter dem pelzigen Hintern wegschmilzt. Der Eisbär ist nicht mehr das Symboltier der Neuen Deutschen Welle, sondern das Symboltier des Klimawandels. Nur noch 20 000 bis 25 000 Exemplare der Art Ursus Maritimus gibt es, schätzen Forscher. Da möchte man wirklich schreien.

"Ich möchte ein Eisbär-Fotograf sein", sagte sich der russische Natur-Enthusiast Dmitry Kokh vor einigen Jahren. Aus dem Hobby wurde ein Beruf. Kokh ist mittlerweile ein renommierter Tier-Fotograf, bekannt besonders für seine Aufnahmen großer Meereslebewesen, zu denen auch die Polarbären zählen. Auf der Suche nach seinen Lieblingsmotiven verschlug es ihn auf die abgelegene Koljutschin-Insel im äußersten Nordosten Sibiriens. Auf dem kargen Eiland leben unter anderem Dickschnabelmurren, Dreizehenmöwen, Robben, Walrösser - und Eisbären. Bis 1987 gab es dort auch eine kleine Siedlung namens Koljutschino und eine Wetterstation. Die Häuser sind seit Jahren verlassen, die Menschen hinterließen verrostete Ölfässer und Müll.

"Plötzlich bemerkten wir Bewegung in den Fenstern."

Auf seiner Expedition durch die Tschuktschensee hatte sich Kokhs Team mit einem Segelschiff der Insel genähert, um dort Schutz vor schlechtem Wetter zu suchen. "Der stürmische Wind und der Regen und die vernachlässigten Gebäude an den felsigen Ufern ließen alles, was geschah, surreal wirken", berichtet Kokh. "Plötzlich bemerkten wir Bewegung in den Fenstern der Häuser." Etwa 20 Eisbären hielten sich in dem verlassenen Dorf auf, einige von ihnen schauten aus den Häusern heraus, als wollten sie Übärraschung! rufen. Kokh fotografierte die Tiere von einer Drohne aus, ein Landgang erschien ihm zu gefährlich.

Sind die Eisbären sesshaft geworden? Suchen sie nach einem festen Wohnsitz, weil ihnen das Eis als nicht mehr sicher erscheint? Die Tiere seien von Natur aus sehr neugierig, erklärt der russische Eisbärenforscher Anatoly Kochnev im Guardian. Der Biologe arbeitete viele Jahre auf der Insel Kolyuchin und beobachtete, wie die Tiere versuchten, durch jedes offene Fenster oder jede Tür zu gelangen. Die Bären werden in abgelegenen Gebieten Sibiriens traditionell gejagt und nutzen die Häuser als Schutz vor Menschen.

"Eisbären müssen nie weinen!", heißt es im Song von Grauzone. Das stimmt vielleicht nur, wenn sie festen Boden unter den Tatzen und ein Dach über dem Kopf haben.

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