Serie "The Crown":Weit entfernt von der Wahrheit

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Kann sich ihre Rollen aussuchen, ihren Stiefvater aber nicht: Schauspielerin Natascha McElhone. (Foto: Robyn Beck/AFP)

Natascha McElhone übernimmt in der fünften Staffel von "The Crown" die Rolle der Countess Mountbatten. Darf eine Schauspielerin, deren Stiefvater mit der IRA sympathisierte, eine angeheiratete Verwandte eines IRA-Opfers spielen?

Von Michael Neudecker, London

Kurz bevor Lord Mountbatten stirbt, wirft er mit seinem Enkel und dessen Freund einen Hummer ins Wasser, "eins, zwei, und ...", sagt Lord Mountbatten, der Hummer fliegt, Schnitt auf die Unterwasserkamera, Blick von unten. Das Tier plumpst ins Wasser, es taumelt hinab. Sekunden der Stille. Dann explodiert das Boot.

Die Netflix-Serie "The Crown" ist zwar grundsätzlich so weit entfernt von einer Dokumentation wie James Bonds Arbeitsweise vom echten MI6, aber es lohnt sich, diesen Moment anzuschauen, wenn man sich mit der Geschichte von Lord Mountbatten beschäftigt, dem einflussreichen Onkel von Prinz Philip. Nicht jedes Detail stimmt, aber die Plötzlichkeit, mit der das Attentat über die königliche Familie hereinbrach, macht die Inszenierung spürbar. Die IRA jagte an jenem 27. August 1979 Mountbattens Boot mit einer 23-Kilo-Bombe in die Luft und tötete dabei nicht nur den 79-jährigen Lord, sondern auch drei weitere Menschen, darunter dessen 14-jährigen Enkel. Das Trauma dieses Moments, überhaupt der ganzen IRA-Zeit, ist im Vereinigten Königreich und in Irland bis heute präsent. Vor diesem Hintergrund muss man nun die Sache mit Natascha McElhone sehen.

Sie ist die Stieftochter eines früheren IRA-Aktivisten

Die Engländerin Natascha McElhone war neun Jahre alt, als Lord Mountbatten von der IRA in die Luft gesprengt wurde. Jetzt ist sie 51 und von Beruf Schauspielerin, sie hat schon in einigen großartigen Filmen und Serien mitgewirkt, in "Californication" spielt sie die gelassene Frau des Schwerenöters Hank Moody, in "The Truman Show" die Jugendliebe des armen Truman Burbank. In der fünften Staffel von "The Crown", die derzeit gedreht wird, wird sie als Countess Mountbatten zu sehen sein, als Angehörige der Familie des von der IRA ermordeten Lords also. Die Gräfin heiratete damals den Bruder des ermordeten Enkels von Lord Mountbatten. Natascha McElhone wiederum ist die Stieftochter von Roy Greenslade, einem früheren IRA-Aktivisten.

Obwohl die TV-Serie nicht gerade für ihren detailgenauen Anspruch an die Darstellung der Realität bekannt ist, wird diese Personalie jetzt dennoch kontrovers diskutiert. Es müsse die Frage gestellt werden, ob die Macher der Serie das nötige Geschichtsbewusstsein hätten, sagte Penny Junor, eine Autorin, die einige viel beachtete Biografien von Mitgliedern der britischen Royals geschrieben hat. Natürlich könne man niemanden für die Sünden des Stiefvaters verantwortlich machen, aber es gebe doch auch so viele andere Schauspielerinnen für diese Rolle. "Das zeigt einen Mangel an Respekt", sagte Junor dem Telegraph.

McElhones Stiefvater Roy Greenslade, 74, ist ein Journalist, der in teilweise verantwortlichen Rollen für alle möglichen britischen Zeitungen arbeitete, für die Sun, den Daily Mirror, aber auch für den Guardian und die Sunday Times. Anfang dieses Jahres gab Greenslade zu, dass er in den Achtzigerjahren unter dem Pseudonym George King für An Phoblacht schrieb, die Zeitung der irischen Sinn Féin. Er habe die Bombardements durch die IRA in den Siebzigern unterstützt, schrieb er zudem vor ein paar Jahren in einem Artikel. Mit der Mutter von Natascha McElhone, Noreen Taylor, zog er zusammen, als Natascha zwei Jahre alt war. 2009 - lange bevor Greenslades Haltung zur IRA bekannt wurde - sagte Natascha McElhone in einem Interview, sie sei "sehr froh und dankbar", dass Greenslade in ihr Leben trat, "er hatte einen gewaltigen Einfluss auf mich, er war ein großartiger Aktivist". Sätze, die heute etwas anders klingen als damals.

Keine Kommentare bislang von Netflix und McElhone

Die Frage ist nun, ob das im Jahr 2021 noch wichtig ist: Darf eine Schauspielerin keine Verwandte eines IRA-Opfers spielen, weil der Stiefvater einmal IRA-Gedankengut teilte? Netflix und McElhone kommentierten das bislang nicht, aber man darf unabhängig davon, wie man diese Frage beantwortet, ohnehin davon ausgehen, dass sich die Besetzung nicht verändern wird. Die Dreharbeiten haben im Sommer begonnen, die fünfte Staffel wird im November 2022 auf Sendung gehen. Viel Zeit, um Bedenken und Kritik zu verdrängen.

Wie gleichgültig den Crown-Machern gelegentlich die Realität ist, kann man schon vergessen, wenn man die Serie anschaut. Erst vor ein paar Tagen aber gab es mal wieder eine Erinnerung daran: Jemma Khan, eine frühere Freundin von Prinzessin Diana, gab offensichtlich verärgert bekannt, dass sie sich von ihrer Beraterrolle für die fünfte Staffel zurückziehen werde. Die Serie, sagte sie, entferne sich einfach zu weit von der Wahrheit.

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