Süddeutsche Zeitung

Rettung aus der Höhle:Für einen Moment fühlt die ganze Welt mit

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Angesichts des Dramas um die Jugendlichen in Thailand schrumpfen alle Seehofer-Söder-Merkel-Kämpfe aufs Zwergenhafte und Trump-Tweets bleiben heiße Luft. Es kehrt eine Mitmenschlichkeit zurück, die bereits vergessen schien.

Kommentar von Matthias Drobinski

Da sitzen sie im Schlamm, barfuß und dünnbeinig, geblendet von den Scheinwerfern der britischen Taucher; elfjährige, 13-jährige, 16-jährige Jungs und ihr Fußballtrainer, die unrettbar vom Wasser eingeschlossen schienen in der Höhle im Norden Thailands. "Wie viele seid ihr?" fragt der Taucher. 13 sind es, alle leben. Auch wenn sie noch längst nicht gerettet sind, ist das ein Wunder. Und überall auf der Welt freuen sich Menschen mit ihnen, ihren Eltern und Freunden; sie hoffen und bangen.

Einer der so herzlosen wie wahren Sätze des Nachrichtengeschäfts heißt: Je weiter weg etwas ist, desto weniger interessiert es Leser, Hörer, Zuschauer; zwei Tote im Nachbarort sind deshalb wichtiger als 30 im Irak. Hier ist er einmal aufgehoben, dieser zynische Satz.

Die Angst der Kinder in der Höhle ist allen nah, die als Kinder Angst vorm Dunklen und vorm Alleingelassenwerden hatten, die Sorge der Eltern allen, die sich um ihre Kinder sorgen. Der Trainer, die Taucher und ihre Helfer stehen für ein weltweit knapp gewordenes Gut: den Mut und die Bereitschaft, das eigene Leben für andere zu riskieren, nicht nach Kosten und Nutzen zu fragen, nach Grenzen und Trennendem.

Das Schicksal der eingeschlossenen Jungs berührt etwas Existenzielles: Die Menschheit kann sich als Menschheit denken; sie kann mit fremden Menschen hoffen und bangen; so war das 2010 in Chile, als dort Bergarbeiter verschüttet und gerettet wurden, so war das vor nunmehr 55 Jahren beim Grubenunglück in Lengede.

Und tatsächlich: Für einen Moment hält das allgemeine Gewese die Luft an, schrumpfen alle Seehofer-Söder-Merkel-Kämpfe aufs Zwergenhafte, bleiben Trump-Tweets was sie sind: heiße Luft. Für einen Moment kehrt das Mitleid mit dem Fremden zurück, eine Tugend, die im Zeitalter der allgemeinen Empathieverdunstung schon ganz vergessen schien. Für einen Moment reduziert sich diese komplex und unfassbar gewordene Welt auf die einfache Bitte: Sie sollen es schaffen, die Jungs da unten. Es ist ein Moment der Menschlichkeit, bevor es weitergeht, das Gewese.

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