Süddeutsche Zeitung

Terrorismus:Report: Horror in der Vorweihnachtszeit

Sydney (dpa) - Nach Stunden in Todesangst steht der jungen Frau der Schock ins Gesicht geschrieben: Mit ausgestreckten Armen rennt sie bewaffneten Polizisten entgegen und bricht fast zusammen.

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Sydney (dpa) - Nach Stunden in Todesangst steht der jungen Frau der Schock ins Gesicht geschrieben: Mit ausgestreckten Armen rennt sie bewaffneten Polizisten entgegen und bricht fast zusammen.

Die Angestellte mit der braunen Schürze ist der Hölle des Lindt Chocolat Cafés in Sydney entkommen, in dem ein vorbestrafter radikaler Iraner Besucher und Angestellte stundenlang in Schach gehalten hat.

"Ich habe seine Augen gesehen, der war verrückt", sagte Craig Stoker dem "Daily Telegraph". Der Mann hatte sich am Morgen in dem Café im Herzen Sydneys gerade einen Kaffee geholt. Draußen sei er mit dem späteren Geiselnehmer zusammengestoßen, wie er berichtete. "Soll ich dich auch erschießen?", habe der Mann ihn nach dem Anrempler angeherrscht. "Ich war ganz schön fertig", meinte Stoker.

Und der Mann ist gefährlich. Vorbestraft, wie Zeitungen später berichten. Und angeklagt, wegen Beihilfe zum Mord an seiner Exfrau und sexuellen Übergriffen auf Kundinnen, die er als vermeintlicher Heiler zu sich lockte. Seine Motive für die Geiselnahme? Unklar.

Wie er die Geiseln in dem Café drangsaliert, ist tagsüber durch eine Scheibe zu sehen: Abwechselnd müssen zwei Leute mit erhobenen Händen eine schwarze Fahne mit dem muslimischen Glaubensbekenntnis an die Scheibe pressen. Direkt darunter ist ein fröhliches "Merry Christmas" (Frohe Weihnachten) auf der Scheibe zu lesen. Eine Mitarbeiterin des Cafés, die nicht im Dienst war, erkennt eine Kollegin. "Ihr Gesicht ist wie eine Maske - sie ist sonst so fröhlich", sagte die Frau im Fernsehen entsetzt.

Wie haben die Geiseln den Tag überstanden? Wo waren sie, als die Polizei das Café nach 16 Stunden mitten in der Nacht stürmte? Einige können kurz vorher fliehen, andere werden kurz darauf von Sanitätern aus dem Gebäude geholt. Für die Angehörigen beginnt ein banges Warten. Die Polizei sagt zunächst nichts über Opfer und Verletzte, große Medien melden übereinstimmend, der Iraner und eine seiner Geiseln seien tot.

Der Tag in Sydney hatte angefangen wie jeder andere. Martin Place ist dekoriert mit Weihnachtsschmuck. Neun Tage noch bis zur Bescherung, viele Leute sind unterwegs, kaufen Geschenke. Die Sonne scheint vom makellos blauen Himmel, in Australien hat der Sommer begonnen. Wer nicht zur Arbeit muss, hat keine Eile. An der Theke des trendigen Cafés muss viel los gewesen sein. Wie Stoker besorgen sich viele Leute auf dem Weg ins Büro dort noch schnell einen Kaffee.

Die Redaktion des TV-Senders "Channel 7" liegt direkt gegenüber. Redakteure sehen um kurz vor zehn Leute vom Café fortrennen. Sie schalten die Kameras ein. An die Fenster gepresste Hände sind zu sehen. Der Geiselnehmer hat die Leute offenbar an die Scheiben beordert. Dann erscheint die Fahne. Die Polizei ist innerhalb von Minuten vor Ort.

Die "Channel7"-Redaktion muss weichen, wegen der strategischen Lage richtet die Polizei dort einen Kommandoposten ein. Am Mittag rennen plötzlich in kurzer Zeit drei Geiseln aus dem Gebäude, am Nachmittag zwei weitere. Die Polizei schirmt die Leute ab.

Es besteht Kontakt mit dem Iraner. "Wir verhandeln mit ihm", sagt Vize-Polizeichefin Catherine Burn. Das dauert Stunden. Der Mann will dem Vernehmen nach mit dem Premierminister sprechen, live im Radio oder Fernsehen. Er spannt offenbar Geiseln ein, die bei Fernseh- und Radiomoderatoren anrufen müssen, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Die Polizei bleibt erst ganz ruhig. Ein friedliches Ende sei oberstes Gebot, sagt Burn. Man stelle sich auf lange Verhandlungen ein. Und dann geht doch plötzlich alles ganz schnell: Mitten in der Nacht stürmt die Polizei das Café.

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