Terrorismus - Karlsruhe:Fall Lübcke: Neue Aussage wirft Unterstützerkreis-Frage auf

Baden-Württemberg
Frank Hannig, Anwalt des Hauptverdächtigen Stephan E. im Fall Lübcke, spricht während einer Pressekonferenz. Foto: Uwe Zucchi/dpa (Foto: dpa)

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Berlin/Wiesbaden (dpa/lhe) - Durch das neue Geständnis des Hauptverdächtigen im Mordfall Lübcke fühlen sich Politiker bestätigt, die hinter dem Attentat eine rechtsextremistische Gruppe vermuten. Die Angaben von Stephan E. über einen zweiten Täter seien "hochbrisant", sagte der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser der Deutschen Presse-Agentur. "Zum einen steht der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung im Raum", erklärte der Bundestagsabgeordnete. Zum anderen habe es bereits bei der Mordserie der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Hinweise auf mögliche Helfer und Mitwisser aus der Kasseler Neonaziszene gegeben. Der Generalbundesanwalt müsse nun alle NSU-Akten "auf links drehen".

Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war im Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses mit einem Kopfschuss getötet worden. Der früher als Neonazi bekannte Stephan E. soll nach bisherigen Ermittlungen der Schütze sein. Bisher gibt es keine Belege für die Anwesenheit eines weiteren Mannes am Tatort. Stephan E. legte ein umfassendes Geständnis ab, das er später aber widerrief. Am Mittwoch erklärte sein Anwalt nun, Stephan E. sei gemeinsam mit Markus H. bei Lübcke gewesen. Gegen H. wird bisher wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord ermittelt.

Der Anwalt von Stephan E. sagte, sein Mandant gehe davon aus, dass H. den Schuss nach ihrem Streit mit Lübcke versehentlich abgegeben habe. Nach Angaben von Verteidiger Frank Hannig hatte E. mit seinem ersten Geständnis H. schützen wollen - ihm seien dafür Schutz und finanzielle Vorteile für seine Familie versprochen worden.

Ursprünglich hatte E. ausgesagt, er habe seine Familie durch kriminelle Ausländer bedroht gesehen, dazu hätten ihn islamistische Anschläge stark aufgewühlt. Lübcke, der 2015 die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft bei Kassel verteidigt hatte, habe er daran eine Mitschuld gegeben.

In Hessen werden nach der neuen Aussage die Rufe nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss immer lauter. Der Mord an Lübcke sei offenbar durch mindestens zwei langjährige und behördenbekannte Neonazis gemeinschaftlich begangen worden, sagte der Innenexperte der Linke-Fraktion, Herrmann Schaus, in Wiesbaden. Nun müsse geklärt werden, ob diese Teil eines größeren Netzwerk seien. "Mit diesen und anderen Fragen wird sich ein Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag beschäftigen müssen."

Neben der Aufklärung der Tat müsse geklärt werden, warum Stephan E. durch das Landesamt für Verfassungsschutz als abgekühlt eingestuft worden sei, mahnte auch FDP-Innenexperte Stefan Müller. Deshalb scheine die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses mittlerweile unausweichlich. Auch die SPD als größte Oppositionsfraktion hatte bereits erklärt, ein Untersuchungsausschuss werde immer wahrscheinlicher.

Dass Markus H. ebenfalls am Tatort gewesen sein könnte, sei angesichts des engen Verhältnisses der beiden Männer nicht unwahrscheinlich, sagte der Obmann der Union im Innenausschuss des Bundestages, Armin Schuster, der dpa. Die bisherigen Ermittlungen hätten ergeben, dass H. eher der rechtsextremistische Denker war und E. eher das Werkzeug. Bei den neuen Angaben von Stephan E. zum Tathergang sehe er dagegen "ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem", sagte Schuster. Denn dies sei "eine Aussage, die beide stark entlastet".

Wer Täter, Mittäter und Unterstützer war, müsse der Generalbundesanwalt klären, sagte die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke). Niemand solle sich von Szeneanwalt Hannig und seinem Mandanten in dieser Diskussion "Takt und Richtung vorgeben lassen". Sollte Stephan E. tatsächlich Schutz und Geld angeboten worden sein, könnte dies ein Hinweis auf einen größeren Unterstützerkreis sein.

Die Innenexpertin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, forderte ebenfalls Klarheit über mögliche Hintermänner. "Der Tathergang und auch die mutmaßliche Beteiligung weiterer Tatverdächtiger müssen unabhängig von der Glaubhaftigkeit der Einlassungen von Stephan E. aufgeklärt werden. Wir müssen wissen, welche Netzwerkstrukturen hinter dem Mord an Walter Lübcke standen, konkrete Mittäter und deren Umfeld", sagte Mihalic dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Donnerstag).

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