Terror in Frankreich:Was wir über die Attentate in Paris wissen

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Ein Polizist sichert die Straße an der Porte de Vincennes in Paris. (Foto: Getty Images)
  • Am späten Freitagabend tritt Staatsanwalt François Molins vor die Presse und berichtet über den Polizeieinsatz und die ersten Ermittlungsergebnisse.
  • Fest steht: Die Attentäter kannten sich, sie trugen Sprengstoff bei sich, sie bekannten sich zu radikalislamischen Terrororganisationen.
  • Das wichtigste Ziel der Polizei ist nun, die geflüchtete Komplizin der Terroristen zu finden, die bewaffnet und gefährlich sein soll.

Von Felicitas Kock, Paris

Die Attentäter

Saïd und Chérif Kouachi heißen die beiden Männer, die in der Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo zwölf Menschen töten.

Die Brüder sind in Frankreich geboren und aufgewachsen, verwaisten früh, kamen ins Heim, wurden dann von einem algerischen Paar adoptiert. Saïd, mit 34 Jahren der ältere der beiden Brüder, soll 2011 mehrere Monate in einem Ausbildungslager von Al-Qaida-Verbündeten in Jemen verbracht haben. Der 32-jährige Chérif gehörte zur Pariser Dschihadisten-Gruppe "Buttes-Chaumont", weshalb er vor einigen Jahren 18 Monate im Gefängnis saß. Dort radikalisierte er sich weiter.

Videoaufnahmen und Fingerabdrücke haben die Brüder laut Staatsanwalt Molins eindeutig als Attentäter von Charlie Hebdo überführt.

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Amedy Coulibaly erschießt am Donnerstagmorgen eine Polizeibeamtin in Montrouge im Süden von Paris. Ein weiterer Beamter wird durch Kugeln schwer verletzt. Am Freitag gegen 13.30 Uhr tritt Coulibaly erneut in Erscheinung. Er tötet vier Menschen in einem koscheren Supermarkt an der Porte de Vincennes im Osten von Paris, nimmt dort 16 Geiseln. Beim Zugriff der Polizei mehrere Stunden später wird Coulibaly getötet. Die Geiseln bleiben unverletzt.

Über Coulibaly ist bekannt, dass er in der Kleinstadt Grigny südlich von Paris aufgewachsen ist. Schon früh geriet er auf die schiefe Bahn, wurde wegen zahlreicher Straftaten verurteilt. Im Lauf der Jahre radikalisierte er sich, auch durch Bekanntschaften, die er im Gefängnis gemacht hat, heißt es.

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Auch die langjährige Lebensgefährtin des Terroristen, Hayat Boumeddiene, war möglicherweise an den Taten beteiligt. Details gibt Staatsanwalt Molins hierzu am Freitagabend nicht bekannt.

Verbindungen zwischen den Tätern gibt es zuhauf. Coulibaly soll Chérif Kouachi im Gefängnis getroffen haben. Seitdem sollen beide Anhänger des Terroristen Djamal Beghal gewesen sein, der damals im selben Knast einsaß. Die späteren Attentäter trafen sich auch bei der Pariser Islamistentruppe "Buttes-Chaumont". Ihre Taten stimmten die drei nach Angaben Coulibalys aufeinander ab. "Ihr Charlie Hebdo, ich die Polizei", soll der 32-Jährige am Vorabend des ersten Anschlags zu den Kouachi-Brüdern gesagt haben.

Die Opfer des Attentats

Zwölf Tote bei dem Angriff auf Charlie Hebdo, eine tote Polizistin in Montrouge und ein schwer verletzter Kollege, vier getötete Kunden des Supermarktes, dazu die drei getöteten Islamisten: 20 Tote haben die vergangenen Tage gefordert. Bei der Schießerei mit den Kouachi-Brüdern wurden zwei Polizisten verletzt, über die genaue Zahl von Verletzten im Zuge der Befreiungen ist nichts bekannt.

Staatsanwalt François Molins lobt besonders die enorme Leistung der Sicherheitskräfte und Ermittler. Neben 80 000 Beamten der Polizei und des Militärs seien auch mehr als 20 Richter im Dauereinsatz gewesen.

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Nach dem Angriff auf Charlie Hebdo seien die Täter entwischt. Durch die Auswertung von Telefondaten, Videomaterial und durch den Ausweis, den einer der Brüder im Auto verloren hatte, hätten die Kouachis schnell als Hauptverdächtige festgestanden. Bei der anschließenden Fahndung wurden an verschiedenen Orten in Nordfrankreich mehrere Personen festgenommen. Noch immer sind fünf Personen in Untersuchungshaft, darunter die Ehefrau Saïd Kouachis.

Die Brüder versteckten sich laut Molins zunächst auf dem Land, am Freitagmorgen kamen sie zu Fuß bei Nanteuil-le-Haudouin aus einem Waldstück und bemächtigten sich eines Autos.

Während der weiteren Flucht kam es den Angaben zufolge zu einem Schusswechsel mit einem Polizeiteam. Dabei sei Saïd leicht am Hals verletzt worden. Die Brüder verschanzten sich in der Druckerei in Dammartin-en-Goële und nahmen deren Chef als Geisel. Bereits um 10:20 Uhr ließen sie ihn wieder frei. Ein junger Mann, der als Graphiker in der Druckerei arbeitete, konnte sich vor den Attentätern verstecken. Er alarmierte die Polizei.

Die Spezialeinheit GIGN versuchte daraufhin, mit den beiden Brüdern Kontakt aufzunehmen und zu verhandeln. Diese hätten jedoch nicht auf die Nachricht auf ihrem Mobiltelefon reagiert, sagt Staatsanwalt Molins. Die Interviewanfrage eines französischen Privatsenders scheinen sie dagegen beantwortet zu haben.

Coulibaly entkam der Polizei nach der Schießerei in Montrouge am Donnerstagmorgen. Bei der Geiselnahme im Supermarkt konnte die Polizei mithören, weil der 32-Jährige sein Handy nicht richtig aufgelegt hatte. Die Beamten bezogen Position vor dem Supermarkt. Der Terrorist drohte laut Molins, weitere Geiseln zu erschießen, sollten die Sicherheitskräfte den Unterschlupf der Brüder Kouachi stürmen. Als die Beamten über das Handy Coulibalys Gebete vernahmen, griffen sie zu.

Etwa zeitgleich rannten die Kouachi-Brüder aus der Druckerei, in der sie sich verschanzt hatten, und schossen auf die Polizisten. Daraufhin beantworteten die Sicherheitskräfte das Feuer und töteten die Attentäter, berichtet der Staatsanwalt.

Sowohl in dem Supermarkt als auch in der Druckerei werden später weitere Waffen, Munition und Sprengstoff gefunden.

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Wer waren Auftraggeber und Unterstützer des Anschlags?

Coulibaly hat in einem Telefoninterview, das ein französischer Fernsehsender während der Geiselnahme mit ihm führte, angegeben, er sei von al-Qaida in Jemen missioniert worden und gehöre jetzt der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) an. Chérif Kouachi sagte ebenfalls, er sei von al-Qaida in Jemen gesandt.

Der jemenitische Zweig der Terrororganisation hat sich am späten Freitagabend auch selbst dazu bekannt, den Anschlag in Auftrag gegeben zu haben. Ob das stimmt, von wem genau die Männer beauftragt und unterstützt wurden, woher sie ihre Waffen hatten - all das müsse jetzt überprüft werden, sagt Staatsanwalt Molins.

Warum rutschten sie durchs Netz?

Die Kouachi-Brüder standen auf verschiedensten Terrorlisten, hatten in den USA Einreiseverbot. Sie wurden bei Treffen mit anderen radikalen Islamisten beobachtet. Die Männer wussten mit Waffen umzugehen.

Der Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion muss lange geplant gewesen sein. Den Ermittlungen zufolge gab es etwa 500 Telefonate zwischen Coulibaly und Chérif und Saïd Kouachi. Die Ermittler werden sich in den kommenden Wochen also auch damit beschäftigen müssen, was vor den Terrorakten passierte.

Wo ist Hayat Boumeddiene?

Die ganze Aufmerksamkeit der Polizei gelte zunächst der Lebensgefährtin Amedy Coulibalys, sagt der Staatsanwalt. Die beiden sollen seit Jahren liiert gewesen sein, im Internet kursieren undatierte Bilder der jungen Frau, auf denen sie mit einer Schusswaffe und einer Armbrust zu sehen ist. Sie gilt als bewaffnet und gefährlich. Wo die Polizei nach der Frau sucht, ist nicht bekannt.

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