Schweigemarsch am Sonntag:Mehr als 80 Prozent der Franzosen wollen auf die Straße gehen

  • Einer Umfrage zufolge wollen mehr als 80 Prozent der Bürger in Frankreich am Sonntag gegen den Terror demonstrieren.
  • Ministerpräsident Manuel Valls kündigt an, dass der Schweigemarsch in Paris durch zusätzliche Soldaten geschützt wird.
  • Nach dem Tod der Geiselnehmer suchen französische Ermittler nun nach möglichen Hintermännern des Anschlags. Die gesuchte Lebensgefährtin des Attentäters Coulibaly, Hayat Boumeddiene, soll sich nicht mehr in Frankreich aufhalten.

81 Prozent der Franzosen wollen demonstrieren

Es könnte die größte Demonstration werden, die Frankreich je gesehen hat: Am Sonntagnachmittag wird mit einem großen Schweigemarsch der 17 Menschen gedacht, die bei dem Attentat auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo und bei der Geiselnahme in dem Supermarkt in einem östlichen Vorort von Paris ums Leben gekommen sind.

Einer Umfrage der Zeitungen Le Parisien Dimanche und Aujourd'hui en France zufolge, sind 81 Prozent der Bürger in Frankreich bereit, gegen den Terrorismus auf die Straße zu gehen. "Das bedeutet zwar noch nicht, dass all diese Menschen tatsächlich auf die Straße gehen, doch es zeigt ein enormes Potential", sagte Gaël Sliman, der Leiter des Meinungsforschungsinstituts Odoxa. Bei der Zustimmung unterscheiden sich die Anhänger der politischer Lager kaum. Während 90 Prozent der Linken ihre Bereitschaft zum Demonstrieren erklärten, waren es unter den Anhängern der konservativen Gaullisten 75 Prozent und unter den Wählern des rechtsextremen Front National 78 Prozent.

Bereits am Samstag gab es im ganzen Land Massenkundgebungen: Insgesamt 700 000 Menschen waren französischen Medien zufolge auf der Straße. Am Sonntag könnte sogar die bisherige Rekordzahl von 1,3 Millionen übertroffen werden. Sie wurde im Jahr 2002 erreicht, als der Front-Nationale-Kandidat Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl für das Präsidentenamt gekommen war.

Das französische Innenministerium hat die Route bekanntgegeben: Der Solidaritätsmarsch soll symbolträchtig von der Place de la République über den Boulevard Voltaire bis zur Place de la Nation gehen.

Valls kündigt Einsatz zusätzlicher Soldaten an

Frankreichs Premier Manuel Valls kündigte eine Versammlung an, die Macht und Würde der Franzosen und ihre Liebe zu Freiheit und Toleranz zeigen solle. Gleichzeitig erklärte Valls, der "republikanische Marsch" werde durch ein massives Sicherheitsaufgebot geschützt: "Alle Vorsichtsmaßnahmen sind getroffen, um die Sicherheit zu garantieren."

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sollen zum Schutz der Veranstaltung im Großraum Paris in zwei Wellen 500 zusätzliche Soldaten eingesetzt werden. Damit seien am Samstag 1100 und am Sonntag 1350 Soldaten mobilisiert - zusätzlich zu Tausenden Polizeikräften.

Viel Prominenz bei Solidaritätsmarsch

Zahlreiche europäische Regierungschefs werden am Sonntagnachmittag erwartet. Der Einladung von Präsident François Hollande folgen neben Bundeskanzlerin Angela Merkel auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk, Großbritanniens Premierminister David Cameron, Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, sein italienischer Kollege Matteo Renzi und Belgiens Premierminister Charles Michel.

Gesuchte Lebensgefährtin von Geiselnehmer soll in Syrien sein

Die bislang als mutmaßliche Komplizin der Terroristen in Frankreich genannte Hayat Boumeddiene könnte sich Medienberichten zufolge in Syrien befinden. Die Online-Ausgaben der Zeitungen Le Figaro, Le Monde und Libération zitieren Polizeiangaben: Demnach sei Boumeddiene über die Türkei nach Syrien gereist - bereits in der vergangenen Woche. Sie sei von türkischen Behörden gesichtet worden, berichtet Le Figaro. Bei Le Monde ist von einer Frau die Rede, die Boumeddiene "stark ähnelte und ihren Pass dabei hatte". Sie soll am 2. Januar von Madrid nach Istanbul geflogen sein und am 8. Januar die Grenze nach Syrien überquert haben. Ihre für den 9. Januar gebuchte Rückreise habe sie nicht angetreten, heißt es weiter.

Die 26-Jährige Boumeddiene ist die Partnerin des Attentäters Amedy Coulibaly, der am Donnerstag eine Polizistin und am Freitag in einem jüdischen Supermarkt in Paris vier weitere Menschen tötete sowie Geiseln nahm. Zum Zeitpunkt der Terroranschläge wäre Boumeddiene damit nicht mehr in Frankreich gewesen.

Ermittler suchen nach Hintermännern

Nach dem Ende der beiden Geiselnahmen suchen französische Ermittler nun nach möglichen Hintermännern. Fünf Personen seien in Polizeigewahrsam, sagte Staatsanwalt François Molins am späten Freitagabend in Paris. Die Freundin des Mannes, der Geiseln in einem jüdischen Supermarkt genommen hatte, sei noch nicht gefasst.

Hayat Boumeddiene war möglicherweise an den Taten beteiligt (lesen Sie hier ein SZ.de-Porträt). Anders als Medien zunächst berichteten, soll die Frau jedoch nicht bei der Geiselnahme in dem Supermarkt vor Ort gewesen sein. Details gab Staatsanwalt François Molins nicht bekannt. Fest steht nur: Auf sie konzentriert sich nun die Fahndung. Bekannt ist seit Freitagabend auch: Ihr Freund, der getötete Supermarkt-Attentäter Amedy Coulibaly, trug Sprengstoff bei sich. Die Ermittler wollen nun auch herausfinden, woher die Waffen der Terroristen stammten und ob die Männer Anweisungen erhielten, "aus Frankreich, dem Ausland oder dem Jemen", wie der Staatsanwalt sagte.

Al-Qaida bekennt sich zu Anschlag

Innerhalb von zehn Jahren waren aus den Kleinkriminellen Chérif und Saïd Kouachi, die am Mittwoch Charlie Hebdo überfallen hatten, religiös fanatisierte Mörder geworden, die zahlreiche Verbindungen zu international gesuchten Islamisten pflegten. Ein hochrangiger Vertreter der US-Regierung sagte der New York Times, dass Saïd Kouachi 2011 mehrere Monate in Jemen in einem Ausbildungslager von Al-Qaida-Verbündeten verbracht habe. Dort habe er Nahkampftechniken und den Umgang mit Schusswaffen gelernt. Der 32-jährige Chérif Kouachi saß 2008 wegen der Zugehörigkeit zu der Pariser Dschihadisten-Gruppe "Buttes-Chaumont" eine Haftstrafe von 18 Monaten ab. Auch Coulibaly soll zu dieser Gruppe gehört haben.

Doch gab es wirklich Anweisungen? Fest steht bislang nur: Ein Al-Qaida-Vertreter hat sich in einer Mitteilung zu dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo bekannt. Der Ableger von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (Aqap), eine der größten Gruppierungen des Terrornetzwerks, hat außerdem mit weiterer Gewalt in Frankreich gedroht. "Ihr werdet nicht mit Sicherheit gesegnet sein, so lange ihr Allah, seinen Verkünder und die Gläubigen bekämpft", sagte ein ranghoher Vertreter von Aqap in einem aufgetauchten Online-Video. Auch die Terrormiliz "Islamischer Staat" drohte mit einer größeren Terrorkampagne und weiteren Angriffen in Europa und den USA.

Linktipps:

Mehr zu den Ermittlungsergebnissen lesen Sie hier.

Eine ausführliche Chronologie der vergangenen drei Tage lesen Sie hier.

Ein ausführliches Portrait der Täter lesen Sie hier.

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