Süddeutsche Zeitung

Verbrechen auf Teneriffa:Der Zeuge aus der Höhle

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Vor den Augen seines Sohnes soll ein Deutscher seine Ex-Frau und sein anderes Kind erschlagen haben. Spaniens Medien stürzen sich auf das Verbrechen - und missachten dabei die Persönlichkeitsrechte.

Von Marcel Grzanna und Thomas Urban

Die Sache mit der Britin damals war grauenhaft, Isabelle Dekkers kann sich noch gut daran erinnern: Wie der Mord an einer Britin den Badeort Adeje auf Teneriffa aufwühlte, in dem sie lebt. Ein offenbar geistig Verwirrter hatte die Frau in einem Supermarkt erstochen und enthauptet, "das war schlimm", sagt Isabelle Dekkers am Telefon. Aber jetzt, fügt sie hinzu, "jetzt ist sogar ein Kind getötet worden. Das ist nur noch fürchterlich".

Isabelle Dekkers war an diesem Vormittag der vergangenen Woche in ihrem Bierstübchen in Los Cristianos im Südwesten der Kanareninsel Teneriffa, ein paar Kilometer von Adeje entfernt, als ihr deutsche Gäste von dem Verbrechen erzählten, das sich in einer Höhle jenseits des alten Ortskerns ereignet hatte. Ein 43 Jahre alter Deutscher aus Halle an der Saale soll dort seine getrennt von ihm lebende 39-jährige Frau und den gemeinsamen zehnjährigen Sohn brutal ermordet haben.

Seit 32 Jahren lebt Dekkers, gebürtige Belgierin, auf Teneriffa. Schwere Gewalttaten sind dort keineswegs an der Tagesordnung, sagt sie. Jetzt ist da große Trauer und Wut, es ist fast so wie damals.

Die Menschen auf Teneriffa sind aufgebracht. Einige Nachbarn des Tatverdächtigen haben den Mann offenbar als "Mörder" beschimpft, als der am vergangenen Freitag in Polizeibegleitung seine Wohnung in Adeje aufsuchen durfte, um sich nach seiner Festnahme mit Medikamenten zu versorgen. Ob der Mann, der seit zwei Jahren ohne Frau und Kinder auf Teneriffa lebt, wirklich schuldig ist, steht allerdings nicht endgültig fest. Die Ermittlungen laufen noch, Thomas H. gilt als dringend tatverdächtig - weil es offenbar einen Überlebenden der Tat gibt. Der jüngere seiner beiden Söhne hat wohl die Angriffe auf seine Mutter und seinen Bruder in der Höhle mit eigenen Augen gesehen, floh aber, ehe der Vater sich ihm zuwenden konnte.

Der Sohn führt die Polizei zum Vater

Der Junge war einige Kilometer abseits des Tatorts völlig verängstigt von Ortsansässigen gefunden und zur Polizei gebracht worden. Er war vom Tatort aus kilometerweit jenseits der befestigten Straße gelaufen, wohl um zu verhindern, vom Vater entdeckt zu werden. Aufgrund seiner Aussage wurden die Leichen der Getöteten kurz darauf in der Höhle gefunden.

Das Kind hatte den Ermittlern geschildert, dass es mit seiner Mutter und dem Bruder am Tag zuvor aus Deutschland angereist war, um den Vater zu besuchen. Der hätte dann am Dienstag nach Ostern die Familie in die Höhle gelockt, indem er ihnen sagte, er hätte dort Osterüberraschungen versteckt. Der Junge erinnerte sich auch an das Auto, das der Vater gemietet hatte: einen blauen Van. Über diesen Van kamen die Ermittler ihm auf die Spur. Offenbar hatte Thomas H. nicht einmal vor zu fliehen. Sie trafen ihn in seiner Wohnung an, als er gerade ins Bett gehen wollte.

Ein Geständnis hat Thomas H. bislang nicht abgelegt. Es heißt, er habe sich auch nicht nach seinem jüngsten Sohn erkundigt, obwohl er ja davon ausgehen musste, dass dieser noch lebt. Die Tatsache, dass er auch Tage nach seiner Festnahme immer noch standhaft zu Einzelheiten schweigt, die in der Höhle geschahen, deuten Ermittler laut der spanischen Tageszeitung El País als Indiz dafür, dass er die Tat langfristig geplant hatte. Die Behörden vermuten, dass der Mann die abgelegene Höhle explizit für sein Verbrechen ausgesucht hatte und bei einem seiner vorangegangenen Besuche Steine parat legte, um Frau und Kinder damit zu töten.

El País zitiert aus Gerichtskreisen ("Er hatte nicht geplant, jemanden am Leben zu lassen") sowie einen Beamten der Guardia Civil, der detailliert darlegt, welche Schläge der Frau und dem Jungen an welchen Körperstellen zugefügt wurden und dass der mutmaßliche Täter auch selbst Verletzungen aufweise, deren Entstehung er selbst mit einem Sturz erkläre. Die spanischen Medien spielen überhaupt eine mitunter fragwürdige Rolle in dieser Geschichte. Die Folgen davon reichen bis nach Oberbayern.

In Spanien ist es üblich, die vollen Namen von Verdächtigen anzugeben und auch deren Fotos zu verbreiten, ohne Rücksicht auf den Ermittlungsstand. Zwar werden die Gesichter von Kindern und Jugendlichen verpixelt, doch ihre vollen Namen munter angegeben. Eigentlich kennt das spanische Presserecht auch den Schutz der Persönlichkeit sowie das Recht am eigenen Bild. Doch die Paragrafen sind nicht so eindeutig definiert wie in Deutschland, viele Redaktionen überschreiten bewusst diese Grenzen, da ein Widerspruch den Einsatz eines Anwalts verlangt - und den können sich viele der Bloßgestellten nicht leisten. Im Fall des sogenannten "Mörders von Teneriffa" hatten einige Reporter, nachdem sie von der Polizei den Namen des Tatverdächtigen bekommen hatten, recht schnell das scheinbar dazu passende Facebook-Profil gefunden - sie kopierten das Familienfoto und verbreiteten es. Dass es auf Facebook mehrere Profile zu diesem Namen gab, störte sie offensichtlich nicht.

Unbeteiligter mit Foto als Mörder veöffentlicht

Bald darauf fand ein Mann aus Traunstein in Oberbayern, der nur zufällig genau so heißt wie der Verdächtige, eine Reihe von nicht ganz freundlichen spanischsprachigen Kommentaren auf seiner Facebook-Seite. Manche wünschten ihn buchstäblich in die Hölle. Als er dann auch noch Fotos von sich neben der Zeile "Mörder von Teneriffa" fand, informierte er die örtliche Polizei, die wiederum klarstellte, dass es sich hier um ein Missverständnis handle.

Und was den Jungen angeht, der die Tat überlebte: Zunächst hieß es, er sei fünf Jahre alt, ehe sich herausstellte, dass er in wenigen Tagen acht Jahre alt wird. Nachzulesen waren zuletzt auch weitere Details aus dem Leben des Jungen - Wohnort und Arbeitsplatz der Mutter, Schule der Kinder in Deutschland, alles wurde ausführlich mit genauen Ortsangaben ausgebreitet.

Derzeit ist der Junge in einer Einrichtung mit Gleichaltrigen untergebracht, er wird von Sozialarbeitern und Psychologen betreut. Er sollte erst im Rahmen der Vernehmung im Beisein von Psychologen über den Tod seiner Mutter und seines Bruders informiert werden; die Ermittler vermuteten, dass er sich darüber noch nicht im Klaren war. Eine erste Befragung des Jungen habe am Montagabend in einem kindgerechten Raum stattgefunden, sagte ein Gerichtssprecher der Deutschen Presse-Agentur.

Wegen ihres Schockzustands seien bislang keine Familienangehörigen in der Lage gewesen, zu ihm nach Teneriffa zu reisen. Der Junge soll in den kommenden Tagen nach Deutschland gebracht werden.

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Quelle:
SZ vom 03.05.2019
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